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„Lügen über meine Mutter“: Die harte Wirklichkeit der 1980er – absolut lesenswert

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Von: Sven Trautwein

Die Welt ist 1980 eine andere. Der Kalte Krieg und China weit weg. Schönheitsideale und Tennis-Boom. Eine Rückkehr. Mein Buchtipp.

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Der Deutsche Buchpreis wird im Rahmen der Frankfurter Buchmesse verliehen. In diesem Jahr stehen 20 Titel auf der Longlist, darunter neben Heinz Strunks „Ein Sommer in Niendorf“ und Kim de L‘Horizons „Blutbuch“. Mit „Lügen über meine Mutter“ legt Daniela Dröscher einen eindringlichen Roman vor, der die Welt der 1980er wieder aufleben lässt. Wo im ländlichen Rheinland-Pfalz das gepflegte Einfamilienhaus mit Auto und mindestens ein Urlaub im Jahr dazugehörten. Und die Ehefrau dem männlichen Wunschbild zu gleichen hatte: schlank, um eine „gute Begleitung“ abzugeben.

Daniela Dröscher „Lügen über meine Mutter“: Über das Buch

Cover zum Roman „Lügen über meine Mutter“ von Daniela Dröscher
Roman „Lügen über meine Mutter“ von Daniela Dröscher © Kiepenheuer & Witsch

Daniela Dröscher erzählt vom Aufwachsen in einer Familie, in der ein Thema alles beherrscht: das Körpergewicht der Mutter. Ist diese schöne, eigenwillige, unberechenbare Frau zu dick? Muss sie dringend abnehmen? Ja, das muss sie. Entscheidet ihr Ehemann. Und die Mutter ist dem ausgesetzt, Tag für Tag.

Kiepenheuer & Witsch

„Lügen über meine Mutter“: Wohlstandsprobleme

Daniela Dröschers Alter-Ego Ela durchlebt mit mir als Leser die 1980er Jahre. Ich fühlte mich atmosphärisch zurückgesetzt in das Jahrzehnt, das mich auch prägte. Der Kalte Krieg, Ostblock, der Aufstieg Chinas, das allen so fremd erschien. Im Roman reist der Vater beruflich nach China, in der Hoffnung, von seinem Chef befördert zu werden. Viel zu lange hatte er auf Wertschätzung warten müssen. Seinen Frust lässt er mit Bemerkungen an seiner Frau aus, die er stets zu dick findet.

Gegen Hälfte des Romans kippt die Stimmung. Die Eltern der Ich-Erzählerin streiten immer häufiger. Nicht nur das Gewicht der Mutter, sondern auch die nicht stattfindende Beförderung des Vaters und das Aus des Jobs der Mutter, vergiften die Atmosphäre. Doch eine Erbschaft nach dem Tod des Großvaters ändert vorerst alles. Auch die Stimmung des Vaters bessert sich. Es soll umgezogen werden. Ins Neubaugebiet. Ob seine Frau jetzt zu- oder abnimmt, scheint ihn mit dem Geldsegen nicht mehr zu interessieren.

Aber auch im Schreiben kann man sich verstecken. Schreien und Schreiben. Nur ein winziges „b“ liegt zwischen diesen beiden Wörtern.

Daniela Dröscher „Lügen über meine Mutter“

Ein wenig fand ich mich beim Lesen an das Frauenbild in Asako Yuzukis „Butter“ erinnert. Auch hier findet die Beurteilung nur über die Äußerlichkeit der betreffenden Person statt. Auch wenn die Ich-Erzählerin in „Lügen über meine Mutter“ nie die Konfektionsgröße der Mutter preisgibt, ist es doch das drohende „Übel“, der Grund für alle Misserfolge, die den Vater ereilen. Nach der Hälfte des Romans übernimmt die junge Erzählerin das Denkmuster des Vaters: Sie beginnt sich für die Mutter zu schämen. Damit scheint ein Wendepunkt eingeleitet.

Daniela Dröscher „Lügen über meine Mutter“: Mein Fazit

Es ist ein eindringlicher Kampf um Selbstbestimmung. Die Frau, die gegen den Mann aufbegehrt, ihren eigenen Weg geht, einen Job neben der Kindererziehung ausübt und für sich selbst einsteht. Für alle, die die 1980er erlebt haben, ist es eine Rückkehr in diese Zeit. Stimmungen und Atmosphäre sind eindringlich eingefangen. Zugreifen!

Daniela Dröscher „Lügen über meine Mutter“

2022 Kiepenheuer & Witsch, ISBN-13 978-3-462-00199-0

Preis: Hardcover 24 €, E-Book 19,99 €, 448 Seiten (abweichen vom Format) – Jetzt bestellen (werblicher Link)

Daniela Dröscher

Daniela Dröscher, Jahrgang 1977, aufgewachsen in Rheinland-Pfalz, lebt in Berlin. Sie schreibt Prosa, Essays und Theatertexte. Studium der Germanistik, Philosophie und Anglistik in Trier und London, Promotion im Fach Medienwissenschaft an der Universität Potsdam sowie ein Diplom in »Szenischem Schreiben« an der Universität Graz.

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