„Amen aber sexy“: Schwuler Pfarrer aus Köln auf besonderer Mission
Als schwuler Pfarrer will Tim Lahr neue Wege gehen – unter anderem mit queeren Gottesdiensten. Da heißt es dann auch mal „Mammamia“ statt „Vaterunser“.
Köln – Aktuell gilt die Kirche wohl alles andere als „en vogue“. Die Kirchenaustritte sind so hoch wie noch nie – auch in Köln. Teilweise waren 1500 Termine zum Kirchenaustritt innerhalb weniger Stunden ausgebucht. Neben dem Missbrauchsskandal ist für viele häufig auch der Umgang mit der LQBTQ-Community ein Grund für den Austritt. Und genau dagegen will der Kölner Pfarrer Tim Lahr vorgehen.
Schwuler Pfarrer aus Köln auf besonderer Mission: „Sehe mich da sozusagen als Brückenbauer“

Der 33-Jährige ist Pfarrer an der Thomas- bzw. Christuskirche im Stadtbezirk Köln-Innenstadt und selbst homosexuell. „Ich stehe mit einem Bein in der queeren Community, mit dem anderen Bein in der Kirche, und sehe mich da sozusagen als Brückenbauer“, sagte der Kölner im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur.
Und das zeigt sich auch in seinen Gottesdiensten: Auf dem Altar liegt eine Regenbogen-Fahne, die Kirche ist bunt geschmückt. Er hält Gottesdienste für alle – vor allem aber für queere Menschen, die nicht heterosexuell sind, oder deren Geschlechtsidentität von dem Geschlecht abweicht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Für sie gebe es „bislang fast keinen Raum in der Kirche“.
Schwuler Pfarrer aus Köln macht queere Gottesdienste: „Mammamia“ statt „Vaterunser“
Dass er eine Vorreiterrolle einnimmt, ist wichtig. „Kirche ist noch nicht empathisch genug, sie versetzt sich zu wenig in die Lebenswelten und geht nicht genug auf die Bedürfnisse von jungen Menschen ein“, kritisiert der 33-Jährige. Im Fokus stünden Familien mit Kindern und ältere, oft traditionellere Menschen, „die gerne Kaffeekränzchen machen und aufgetaute Schwarzwälder Kirschtorte essen“, sagt er und schmunzelt.
Der queere Gottesdienst, der bisher an verschiedenen Standorten in Köln stattfindet, wird gut besucht. „Ich war überrascht, auf wie wenig Kritik ich tatsächlich gestoßen bin“, erzählt Lahr. Er arbeite in diesen Gottesdiensten viel mit Musik. Biblische Texte werden queer ausgelegt und als Alternative zum Vaterunser gibt es auch mal ein „Mammamia“. „Für uns als Kirche ist das ein sehr spannender Erprobungsraum, von dem wir hoffentlich viel lernen werden“, erzählt Jens Iven von der Evangelischen Kirche im Rheinland.
Und auch abseits der Kirche geht seine Arbeit weiter: Auf seinem Instagram-Kanal „Amen aber sexy“ gibt Tim Lahr Einblicke in den Alltag eines schwulen Pfarrers. Dort zeigt er sich lachend und tanzend im schwarzen Hoodie oder spricht auch mal seine eigenen Probleme aus der Kindheit an. „Ich verstehe mich als Community-Manager“, erzählt er. „Online öffnen sich die Menschen, und es wird sogar zu einer Art neuem Seelsorge-Kanal.“ 14.000 Follower hat er mittlerweile.
Influencer-Pfarrer will „Kirchenglocken im Internet läuten“ – damit ist er nicht allein
Tim Lahr ist dabei nicht der einzige Wegweiser in eine offene und moderne Kirche. Vor drei Jahren wurde das evangelische Contentnetzwerk „yeet“ gegründet, das deutschlandweit mit 35 Influencern auf Instagram, Tiktok, Youtube und mit Podcast-Formaten junge Menschen adressieren möchte.
Auch außerhalb des Netzwerks und der evangelischen Kirche gibt es christliche Influencer, die mit alternativen Ideen ihren Glauben weitertragen möchten. Zum Beispiel Marcus Schneider aus Wuppertal, der „Breiteste Pastor Deutschlands“, wie er sich selbst auf sozialen Netzwerken nennt. Er stemmt Gewichte und drückt über Fitness-Videos und Bankdrücken seinen Glauben aus.
In Köln-Lindenthal segnet ein katholischer Pfarrer homosexuelle Paare. Und in der Kölner Südstadt gibt es eine Krippe mit besonderen Figuren – unter anderem gibt es einen Mann in Lack und Leder, eine Prostituierte und einen Junkie.
All das findet auch Tim Lahr einen guten Ansatz. „Kirche muss mutiger werden und sich trauen, das zu machen, was Spaß macht.“ An der konkreten Umsetzung neuer Projekte mangelt es laut Lahr aber noch oft. „Wenn es ums Geld geht, ist die Kirche noch etwas kniepig mit den neuen Formen. Ich bin dann doch oft verwundert, wie viel Geld in Gemeinden zum Beispiel für neue Kirchenglocken ausgegeben wird. Dann denke ich mir oft: Läutet lieber die Kirchenglocken im Internet!“ (jw mit dpa) Fair und unabhängig informiert, was in Köln passiert – hier unseren kostenlosen 24RHEIN-Newsletter abonnieren.