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Bahn-Experte erklärt, welche Probleme beim 9-Euro-Ticket drohen

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Von: Max Müller

Das 9-Euro-Ticket soll Menschen für die Deutsche Bahn begeistern. Doch das geht nach hinten los, befürchtet Verkehrsökonom Christian Böttger.

Köln – Die Idee war schnell geboren: Mit dem 9-Euro-Ticket für wenig Geld im Nahverkehr durch Deutschland fahren – und gleichzeitig das Klima entlasten. In den Tagen nach der Ankündigung Ende März ploppten allerdings die ersten Fragen auf. Antworten bleiben bisher größtenteils aus. Gibt es überhaupt genügend Züge, die fahren? Wer soll die Finanzierungslücke schließen? Und steigen die Preise wieder, wenn das 9-Euro-Ticket Ende August ausläuft?

Christian Böttger war von Anfang an skeptisch. Er ist Verkehrsökonom an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Sein Spezialgebiet ist die Deutsche Bahn (DB) zu der er seit Jahren forscht und publiziert. Außerdem war Böttger mehrfach Gutachter im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestags.

Ein ICE fährt aus dem Kölner Hauptbahnhof, im Hintergrund ist der Kölner Dom zu sehen und ein Foto von Bahn-Experte Christian Böttger zu sehen.
Christian Böttger über Probleme beim 9-Euro-Ticket: „Dann wird man auch den ICE nutzen dürfen.“ (Montage) © Roberto Pfeil/dpa & Nikolas Fahlbusch/HTW Berlin

Professor Böttger, ist das 9-Euro-Ticket eine gute Idee?

Nein. Ich halte die Entscheidung der Bundesregierung für wenig zielführend. Das 9-Euro-Ticket ist wohl in einer Nachtsitzung entstanden, nachdem die FDP die Benzinpreissubvention durchgesetzt hatte und auch die Grünen für ihre Wähler eine Kompensation wollten.  

Es wird vor Überlastungen und Ausfällen gewarnt. Wie realistisch sind diese Szenarien? 

Sehr realistisch. Das 9-Euro-Ticket verursacht zwei Probleme. Am dramatischsten wird die Überlastung. Nehmen wir die Strecke von Hamburg nach Sylt. Da steht schon jetzt im Sommer die Bundespolizei regelmäßig am Bahnhof Husum, weil sie die Züge wegen Überfüllung räumen müssen. Auch einige Bahnhöfe sind heute in Spitzenzeiten überlastet, so muss der Hauptbahnhof in Hamburg gelegentlich gesperrt werden. Auch andere Bahnhöfe sind häufig zu voll, zum Beispiel der Hauptbahnhof Köln und Karlsruhe. Es gibt noch viele weitere Beispiele.

Nur zu.

Die Strecke von Berlin an die Ostsee wird ab Juni massiv überlastet. Dort bestünde zwar, anders als auf der Strecke nach Sylt, die technische Möglichkeit, mehr Züge einzusetzen, darum müsste sich allerdings der dortige Verkehrsverbund kümmern. Daran ist das Land Mecklenburg-Vorpommern beteiligt, dessen Verkehrsminister bereits klargemacht hat, dass er das 9-Euro-Ticket sehr kritisch sieht. Die Länder wollen kein Geld dafür ausgeben, zusätzliche Zugfahrten zu bestellen, die Deutsche Bahn ebenfalls nicht. Warum auch? Es gibt nichts zu verdienen.

Aber der Zeitraum vom 1. Juni bis 31. August ist schon gut gewählt, oder?

Es ist die Haupturlaubssaison. Deswegen wird die Überlastung wohl weniger die klassischen, heute bereits überlasteten Pendlerstrecken betreffen, sondern eben bestimmte Urlaubsziele. Ich befürchte, dass die Überlastungen und Verspätungen nicht dazu beitragen, dauerhaft neue Kunden zu gewinnen, sondern eher abschreckend wirken.

9-Euro-Ticket gilt nicht für Fernverkehr – eigentlich

Sie sprachen von zwei Problemen. Was droht neben der Überlastung?

Der administrative Aufwand. Die Verkehrsverbünde müssen Tausende Verhandlungen mit vielen verschiedenen Institutionen führen, für das Semesterticket beispielsweise mit den Studentenvertretungen jeder einzelnen Hochschule. Da wird auch um Verwaltungskosten gefeilscht. Zudem wird es heftige Diskussionen bei allen Stammkunden mit Abo geben – die Frage ist, wer wie viel zurückbekommt. Es gibt viele Tickettypen und Fallgruppen, bei denen man streiten kann. 

Inwiefern?

Nehmen wir Berlin als Beispiel, dort gibt es drei Tarifzonen. Wer eine Karte für den Tarifbereich AB hat, bekommt weniger zurück als ein Inhaber einer ABC-Karte. Damit es fair und einheitlich ist, muss das Ticket bundesweit gelten. Übrigens: Ich habe eine Bahncard 100, die sowohl als AB-Fahrkarte als auch in Regional- und Fernzügen gilt – wie werde ich eigentlich entlastet? 

Finanziell überhaupt nicht, steht auf der DB-Homepage. Aber Sie profitieren von leeren Abteilen im Fernverkehr.

Daran glaube ich nicht. Nochmal die Strecke Berlin - Ostsee: Was passiert denn, wenn der letzte Regionalexpress am Bahnhof Rostock losfährt und 1000 Menschen nicht mehr in den Zug passen? Dann werden Menschen auch den ICE nutzen dürfen. Rein formal haben Sie recht: Der Fernverkehr ist nicht vom 9 Euro Ticket betroffen. Auf einzelnen Strecken könnte man Fahrgäste an den günstigen Regionalverkehr verlieren. Das würde auch Flixtrain treffen.

Was passiert nach dem 9-Euro-Ticket? „Preise werden erhöht“

Ab 1. September wird es kein 9 Euro Ticket mehr geben. Was passiert dann?

Ich befürchte, dass wir uns auf einen längeren Konflikt in der Ukraine einstellen müssen. Die Energiepreise werden dauerhaft höher sein als in den letzten Jahren, die Ressourcen werden knapp. Das wird alle Bürger zusätzlich belasten, als Mieter, Auto- und Bahnfahrer. Um die Kostensteigerungen für Bus und Bahn abzufedern, gibt es nur drei Möglichkeiten. Erstens könnte der Staat zusätzliches Geld bereitstellen. Das erscheint angesichts der Haushaltslage und steigender Zinsen immer unwahrscheinlicher. Zweitens könnte die Bahn Leistungen reduzieren. Oder, drittens, die Preise werden erhöht. Ich fürchte, das ist am wahrscheinlichsten.

Gibt es keine Möglichkeiten, das zu vermeiden?

Ich glaube, man sollte die immer weiter ausufernden Regelwerke einmal kritisch prüfen. Warum muss eine Lokomotive stoppen, wenn sie von Elektro- auf Dieselantrieb umschaltet? Es funktioniert problemlos während der Fahrt, beim PKW gibt dafür auch keine Vorschrift. Die DB braucht für die Elektrifizierung von Bahnstrecken eine zeitaufwändige Planfeststellung, bei der Autobahn geht es ohne. Wenn eine Strecke gewartet wird, muss sie länger gesperrt werden, weil ein Schienenfahrzeug mit Hebebühne das Gleis blockiert. Mit einer Gleisleiter würde es viel schneller gehen, das wurde aber jüngst untersagt. Vielleicht kann man die Schweiz als Vorbild heranziehen, in der vieles deutlich pragmatischer und trotzdem sicher geregelt ist.  

A propos Bürokratie: Nehmen wir an, ich möchte am 1. Juni von Köln an den Bodensee fahren und nutze meine Monatskarte der KVB. Wie sollen die Schaffner der zig Verkehrsverbünde kontrollieren, ob mein Ticket gültig ist? Das sieht doch überall anders aus.

Die Kontrolleurinnen und Kontrolleure der Verkehrsbetriebe sind eigentlich recht gut darin geschult, zu verstehen, welche Tickets gültig sind. Aber dieser Fall wird alle Beteiligten herausfordern. Ich gehe davon aus, dass die Kontrollen teilweise oberflächlich sein werden. Getreu dem Motto: Der hat irgendwas, das aussieht wie ein Fahrschein, das wird schon passen.

9-Euro-Ticket kostet den Bund „rund 2,5 Milliarden Euro“

Sie haben 2018 schon vor mangelnden Investitionen in die Flotte der DB gewarnt. Wie sieht das heute aus?

Seit 2018 wurden die Mittel zwar leicht erhöht, aber das reicht nicht aus, weil die Bahn über zwei Jahrzehnte unterfinanziert war. Die Mittel für den Ausbau des Schienennetzes lagen zu Zeiten Helmut Kohls noch bei 4 Milliarden Euro pro Jahr, in Schröders Amtszeit sind sie auf ca. 1,5 Milliarden Euro gesenkt worden. Jetzt wurden sie immerhin auf 2 Milliarden erhöht. Es ist allerdings nicht zu übersehen, dass der neue Verkehrsminister (Anmerkung: Volker Wissing) keine Impulse für die Bahn setzen möchte. Er plant monströse Subventionen für E-Autos.

Können kurzfristig größere Kapazitäten gestemmt werden? 

In dem bestehenden Netz gibt es nur begrenzte Reserven. Für die von Bundesregierung verkündeten Wachstumsziele müssten erhebliche neue Strecken gebaut werden. Derzeit gibt es keine baureifen Projekte, der Vorlauf ist lang. Zugleich gibt es zu wenig Personal für Planung und Bau. Selbst wenn plötzlich zusätzliches Geld zur Verfügung stünde, würden die benötigten Fachleute fehlen. 

Die Deutsche Bahn macht immer wieder Schlagzeilen mit schlechten Zahlen. Jetzt kommt das Ticket zum Nullpreis. Wie soll das funktionieren?

Die Details der Einigung stehen zwar noch aus, aber es ist klar, dass der Bund die Verkehrsbetriebe für Mindereinnahmen bei den Stammkunden entschädigen wird. Die Zahl, die im Raum steht, sind 2,5 Milliarden Euro. Das ist für drei Monate eine realistische Größe.

9-Euro-Ticket: Die wichtigsten Infos im Überblick

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