Siemens vs. Alstom
Wer wird der nächste ICE-Superstar der Deutschen Bahn? Die Finalisten im Vergleich
- VonOliver Schmitzschließen
Die nächste ICE-Generation soll ab Anfang der 2030er Jahre durch Deutschland fahren. Es gibt zwei Zug-Modelle die als Vorlage dienen, sich aber stark unterscheiden.
Köln – Der Startschuss für den ICE der Zukunft ist gefallen. Die Deutsche Bahn hat mit den Planungen für die neue Generation der Hochgeschwindigkeitszüge (HGV 3.0) begonnen und erste wichtige Kriterien dafür festgelegt. Die beiden Zug-Hersteller Siemens und Alstom wurden beauftragt, erste Konzepte für den kommenden ICE 5 zu entwickeln. Beide Unternehmen haben bereits moderne Zug-Modelle, die bei der Erstellung als Grundlage dienen könnten. 24RHEIN vergleicht die beiden Top-Anwärter für den ICE der Zukunft.
So läuft die Konzeption für den neuen ICE 5 ab
Die aktuelle Konzept-Erstellung von Siemens und Alstom läuft bis Mitte 2023, dann sollen die Hersteller ihre Pläne für die neue ICE-Generation vorlegen. Die Deutsche Bahn arbeitet dabei bereits mit beiden eng zusammen. Auf diesen Grundlagen sollen dann voraussichtlich im zweiten Halbjahr 2023 die Entwicklung, Bau und Zulassung der neuen Flotte offen ausgeschrieben werden. Das heißt, auch weitere Hersteller können sich dafür bewerben. Danach wird dann ein finaler Produzent für den ICE 5 gekürt. Aktuell rechnet man damit, dass dies in den Jahren 2024 bis 2025 der Fall sein könnte.
Der „Velaro Novo“ von Siemens Mobility – bereits seit Jahren auf deutschen Schienen unterwegs
Der „Velaro Novo“ ist das neueste Modell der Hochgeschwindigkeitszüge von Siemens Mobility. Seine Besonderheit ist die modulare Bauweise, durch die man den einstöckigen Zug flexibel anpassen kann. Konkret kann der Velaro Novo in 7- bis 14-teiligen Versionen gebaut werden. Das Außendesign erinnert sehr an bisherige ICE-Züge, lediglich der vordere Bereich ist deutlich abgeflachter. Das Innere ist dabei komplett individuell anpassbar, da es keine festverbauten oder unverrückbaren Gegenstände gibt.
Laut Siemens ist der Velaro Novo rund 20 bis 30 Prozent günstiger und 15 Prozent leichter als seine Vorgänger. Durch die neue Form konnte außerdem auch der Gesamtenergieverbrauch um 30 Prozent reduziert werden. Somit steht bei dem Hochgeschwindigkeitszug die Effizienz im Vordergrund. Insgesamt erfüllt er auf dem Papier alle Anforderungen für den ICE 5.
„Velaro Novo“ von Siemens: Die wichtigsten Fakten im Überblick
► Geschwindigkeit: 250 bis 360 km/h
► Länge: 202 Meter
► Gewicht: 420 Tonnen
► Antriebsleistung: bis zu 8000 kW
► Anfahrzugkraft: bis zu 275 kN
Ein Mittelwagen des Velaro Novo ist seit 2018 als Teil eines Test- und Mess-ICE auf den deutschen Schienen unterwegs. Bis Anfang 2023 hat dieser über 120.000 Kilometer mit Geschwindigkeiten bis 360 km/h zurückgelegt. Bestellungen oder gar einen fertigen Zug gibt es bisher aber noch nicht. Der Hersteller Siemens Mobility war abgesehen von dem kommenden „ICE L“ an jeder ICE-Baureihe, entweder als Hersteller oder Produzent direkt beteiligt. Zuletzt hatte Siemens auch den neuen „ICE3neo“ für die Deutsche Bahn hergestellt. Dabei wurde der ICE von innen „wie ein Wohnzimmer“ aufgebaut, wie einige Fotos zeigen.
Der „Avelia Horizon“ von Alstom – zuerst TGV und bald ICE?
Das neueste Modell der Zugherstellers Alstom hört auf den Namen „Avelia Horizon“. Dabei handelt es sich ebenfalls um einen flexibel anpassbaren Hochgeschwindigkeitszug. Der Erste-Klasse-Bereich können zum Beispiel auch in die zweite Klasse umgewandelt werden. Außerdem ist das Hinzufügen von Sitzen, Fahrradplätzen und Gepäckraum möglich. Das Außendesign unterscheidet sich deutlich von dem Siemens-Konkurrenten. Die Zugspitze ist spitzer und abgerundeter und an der Seite gibt es große Fenster. Rund 97 Prozent der Materialien sind zudem recycelbar.
Laut Alstom hat der Avelia Horizon nicht nur 20 Prozent mehr Platz, sondern verbraucht auch 30 Prozent weniger Energie als vorherige Hochgeschwindigkeitszüge. Die Kosten sollen zudem 20 Prozent geringern ausfallen als bei Vorgänger-Modellen.
Der größte Kontrapunkt des Avelia Horizon dürfte wohl seine Zweistöckigkeit sein, da die Deutsche Bahn für den ICE 5 ein einstöckiges Modell präferiert. Somit müsste Alstom sein Modell für die nächste ICE-Generation nochmals anpassen. Da der Hersteller aber ebenfalls einstöckige Hochgeschwindigkeitszüge wie den Avelia Liberty im Programm hat, gibt es genügend Expertise auf dem Gebiet.
„Avelia Horizon“ von Alstom: Die wichtigsten Fakten im Überblick
► Geschwindigkeit: bis zu 350 km/h
► Länge: 200 Meter
► Sitzplätze: 740 (TGV M-Version)
► Antriebsleistung: bis zu 8000 kW
► Anfahrzugkraft: bis zu 275 kN
Im Gegensatz zum Velaro Nova von Siemens wird der Avelia Horizon aber tatsächlich bereits produzert. Die französische Eisenbahngesellschaft SNCF hat 115 Stück für seine kommende TGV-Generation bestellt. Ab 2024 soll der „TGV M“ dann erstmals zum Einsatz kommen. Alstom ist aber auch in Deutschland kein Unbekannter. Der Zughersteller war am ICE T und durch Bombardier auch am ICE 3 beteiligt.
Deutsche Bahn: Neue „ICE 5“-Generation – das sind die Voraussetzungen
- Einsatz-Start: Anfang der 2030er Jahre
- Länge: maximal 400 Meter
- Höhe: Einstöckig
- Sitzplätze: circa 950
- Geschwindigkeit: mindestens 300 km/h
- Material: zu mindestens 95 Prozent recycelbar
- Stückzahl: circa 100 zum Start
Nach aktuellem Zeitplan soll die neue ICE-Generation ab Dezember 2031 im Fahrgastbetrieb eingesetzt werden und dann rund 30 Jahre durch Deutschland rollen. Davor ist ein 11-monatiger Probetrieb geplant. Der ICE 5 wird nach und nach ältere ICE 3-Züge ersetzen und „mit Blick auf stark wachsende Fahrgastzahlen“ die ICE-Flotte erweitern. Die Bahn hat dabei den Anspruch, mit diesem „neue Maßstäbe bei der Energieeffizienz und technischen Verfügbarkeit“ zu setzen. Weitere Voraussetzungen sind unter anderem ein stufenloser Eintritt wie beim ICE L, ein hoher Anteil recycelbarer Materialien und Platz für 950 Fahrgäste.
Auch zum Inneren des ICE 5 sind bereits einige Details bekannt. Die neuen Hochgeschwindigkeitszüge sollen über „ganz neue Sitzlandschaften“ und eine vollkommen andere Bordgastronomie verfügen, sagte Fernverkehrsvorstand Michael Peterson gegenüber dem Spiegel. Damit solle ein „Wohlfühlreiseangebot“ geschaffen werden. Außerdem möchte die Bahn auch digitale Elemente wie einen schnellen Internetzugang setzen. Abteile könnten am Wochenende für Familien mit Kindern und unter der Woche für Geschäftskonferenzen dienen, sagt Peterson.
ICE 5: Darum setzt die Deutsche Bahn auf einstöckige statt zweistöckige Züge
Das Thema der Ein- oder Zweistöckigkeit hatte im Vorfeld der ersten Ausschreibung für den ICE 5 für viele Diskussionen gesorgt. Angesichts der Verkehrswende und somit steigenden Fahrgastzahlen gab es Argumente erstmals auch zweistöckige ICEs auf die deutschen Schienen zu bringen. Durch zwei Etagen können logischerweise mehr Passagier pro Zug transportiert werden.
Letztlich hat sich die Deutsche Bahn aber erneut für einstöckige Züge entschieden. Laut Fernverkehrsvorstand Michael Peterson sei der Platzgewinn nicht so groß wie gedacht. Nach Berechnungen der Bahn könnten statt 950 könnten 1150 Passagiere auf zwei Stockwerken Platz finden, sagte er dem Spiegel. Laut ihm würden viele Passagiere zudem die „bedrängte Sitzsituation“ nicht so sehr mögen. Weitere Argumente gegen zweistöckige ICEs sind teils mangelnde Barrierefreiheit und die längeren Wechselzeiten von Fahrgästen an Bahnhöfen. Zudem ist die komplette Werkstatt-Infrastruktur der Deutschen Bahn auf einstöckige Züge ausgerichtet.
Nicht nur der Fernverkehr, sondern auch der Nahverkehr der Deutschen Bahn soll bald komplett neue Züge bekommen – womöglich mit Stammtisch, Büroabteil und drehbaren Sesseln. (os) Fair und unabhängig informiert, was in Deutschland und NRW passiert – hier unseren kostenlosen 24RHEIN-Newsletter abonnieren.
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