Duisburg hat visionären Plan für Marxloh – doch es gibt ein großes Problem
Der Problemstadtteil Duisburg-Marxloh soll sich wandeln, die Stadt investiert viel. Doch kriminelle Clans sind immer noch aktiv. Wie die Polizei dagegen vorgehen will.
Duisburg – Es ist wie ein Mantra: Marxloh wandelt sich, die schlimmen Zeiten sind vorbei. In Duisburg hört man das immer wieder. Die Stadt versucht, das böse Image des Stadtteils im Duisburger Norden, der einst bundesweit als „No-Go-Area“ verschrien war, mit aller Macht abzustreifen. „Die Leerstände und die Trostlosigkeit liegen hinter uns“, sagte Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD) erst neulich am Rande einer Veranstaltung im bevölkerungsreichsten Teil der Ruhrgebietsstadt. „Wir haben Marxloh nie aufgegeben und wir werden Marxloh nicht aufgeben“, so Link.
Duisburg-Marxloh: Mega-Investition soll Problem-Stadtteil aufwerten
Und tatsächlich hat die Stadt ein Konzept, unter dem Stichwort „Arrival City“ soll Duisburg-Marxloh zu einem sogenannten Ankunftsstadtteil werden, in dem Zuwanderer und Geflüchtete Hilfe beim Start bekommen. Der Leerstand ist zurückgegangen, die einst völlig heruntergekommene Weseler Straße in Duisburg ist mittlerweile eine Brautmodenmeile: Dutzende Hochzeitskleiderläden und Juweliere, die meisten in türkischer Hand, haben sich hier angesiedelt. „Marxloh ist ein pulsierender Stadtteil“, sagt OB Link. Die Stadt investiert kräftig, zusammen mit Bund und Land: Insgesamt 50 Millionen Euro werden in Marxloh und den Nachbarstadtteil Alt-Hamborn gesteckt, zehn Millionen Euro kommen von der Stadt, 25 Millionen vom Bund und 15 Millionen vom Land NRW.
„Stark im Norden“ heißt das Motto dahinter, mit dem Geld soll für mehr Chancengleichheit durch Bildung gesorgt werden. Außerdem soll unter anderem der August-Bebel-Platz und der Alt-Markt – in der Vergangenheit Schauplätze von Schießereien und anderen Gewalttaten – komplett neu gestaltet werden. Marxloh wird so auch zum Modell: Wenn es hier mit dem Wandel klappt, dann auch in anderen sogenannten Problemvierteln in Deutschland.
Müllkippen und neue Drogenszene in Duisburg-Marxloh
Apropos Probleme: Die gibt es bei allem Optimismus und bei allem guten Willen nach wie vor in Marxloh. Alte wie neue. Die Kriminalitätsrate ist immer noch überdurchschnittlich. Die Tumultlagen seien zwar zurückgegangen, heißt es bei der Polizei. Dafür gibt es jetzt Banden aus dem rumänischen und bulgarischen Raum, die sich breit machen, illegale Müllkippen im Duisburger Stadtteil und eine neue harte Drogenszene in Marxloh.
Clan-Kriminalität in NRW
► Wenn die Rede von kriminellen Clans ist, sind meist bestimmte Mitglieder von Großfamilien mit türkisch-arabischen Wurzeln gemeint. In Deutschland gehören nach Schätzungen des Bundeskriminalamts (BKA) rund 200.000 Menschen zu solchen Großfamilien. Die meisten von ihnen sind nicht kriminell. Einige aber haben sich zu Gruppierungen zusammengeschlossen, die Straftaten im Bereich der organisierten Kriminalität begehen.
► Viele gehören den sogenannten Mhallami-Kurden an, einer arabischstämmigen Volksgruppe. Ihre Vorfahren wurden nach dem Ersten Weltkrieg aus der Türkei vertrieben, kamen dann in den Libanon. Als dort Bürgerkrieg ausbrach (1975 bis 1990), flohen viele der Familien nach Deutschland.
► Als Geflüchtete wurden sie in verschiedenen Bundesländern untergebracht, vor allem in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bremen und Berlin. Als Staatenlose erhielten sie den Duldungsstatus. Menschen mit Duldungsstatus haben es auf dem Arbeitsmarkt schwer: Eine selbständige Tätigkeit ist ihnen untersagt, eine Beschäftigung als Arbeitnehmer nur auf Antrag möglich. Experten sehen in der Perspektivlosigkeit einen Grund dafür, dass sich kriminelle Netzwerke innerhalb der Familien gebildet haben.
► Die kriminellen Clan-Mitglieder begehen schwere Straftaten, wie Menschenhandel, Betrug, Erpressung und Raub.
Und immer noch sind die sogenannten kriminellen Clans in Duisburg-Marxloh mächtig. Es seien drei Clans, die sich Marxloh gewissermaßen teilten, sagt Andreas de Fries. Der Polizist ist der Bezirksbeamte von Marxloh und arbeitet hier schon seit 31 Jahren. „Die haben die Einstellung: Ihr habt ihr nichts zu melden, das ist unser Stadtteil“, so de Fries. Die kriminellen Clans seien unter anderem im Drogengeschäft, bei Schutzgelderpressungen, Betrug und Menschenhandel tätig.
Clans in Duisburg-Marxloh haben immer noch Einfluss: „Es herrscht eine Angstkultur“
Die Mitglieder gehörten oft zur Volksgruppe der Mhallami-Kurden, die einst aus der Türkei über den Libanon nach Deutschland kamen, erklärt de Fries. Die Namen der drei Clans will er nicht sagen – auch um nicht jeden zu stigmatisieren, der zufällig einen entsprechenden Nachnamen trägt, aber mit den kriminellen Banden nichts zu tun hat.

Klar ist, dass die Strafverfolgung gegen die Clans nicht immer einfach sei, denn Zeugen sind oft rar. „Es herrscht eine Angstkultur vor. Die Bereitschaft ist groß, bei uns auf kriminelle Taten hinzuweisen. Aber vor Gericht will dann niemand was sagen. Da heißt es dann: Erzähl bloß nicht, dass du das von mir hast.“ Ist die Angst denn berechtigt? „Zumindest das Gefühl, dass es Folgen haben könnte, ist offenbar da“, beschreibt es der Polizeibeamte.
Kriminelle Clans in Duisburg-Marxloh sollen nachhaltig ausgemerzt werden
Klar sei: Damit Marxloh sich wirklich verändern kann und all die Pläne von Stadt, Land und Bund greifen, müssen die kriminellen Machenschaften der Clans nachhaltig ausgemerzt werden. Wie soll das gelingen? Man wolle ganzheitlich und ressortübergreifend gegen die Kriminellen vorgehen. Heißt konkret: „Wenn die Verkehrspolizei sieht, da sitzt einer unangeschnallt im dicken Auto, dann wird direkt geschaut: Ist der Wagen angemeldet? Wem gehört der? Wie ist das mit den Steuern?“
So wolle man sukzessive die Clans finanziell austrocknen. Ganz neu ist der Ansatz nicht, NRW-Innenminister Herbert Reul predigt seit Jahren eine Nulltoleranz-Strategie und eine „Politik der 1000 Nadelstiche“ gegen die Clans. „Man braucht einen langen Atem“, sagt de Fries. Als Polizist in Marxloh müsse man offen sein, sich auf Neues einlassen: „Man muss ein besonderer Schlag Polizist sein, wenn man in Marxloh arbeitet.“ (pen) Fair und unabhängig informiert, was in NRW passiert – hier unseren kostenlosen 24RHEIN-Newsletter abonnieren.