1. 24RHEIN
  2. Rheinland & NRW

Strom für einen ganzen Ort: Riesiger See in NRW soll Solar-Kraftwerk werden

Erstellt:

Von: Peter Sieben

Grafik zeigt, wie der Hambacher See aussehen könnte
Im Tagebau Hambach entsteht der volumenmäßig zweitgrößte See Deutschlands und der größte von NRW. Und Energiekonzern RWE hat ehrgeizige Pläne. © N. Bruckmann/Midjourney (maschinell erstellt*)

Im Tagebau Hambach will RWE einen gigantischen See erschaffen. Der wird Naherholungsgebiet und Stromlieferant in einem. Doch es gibt auch massive Kritik am Projekt.

Köln – Noch ist das Gebiet eine riesige Wüste. Wo einst ganze Dörfer lagen und Kirchtürme zwischen alten Gehöften aufragten, zieht sich jetzt kilometerweit eine graubraune Kraterlandschaft bis zum Horizont. Der Tagebau Hambach ist der größte des Energiekonzerns RWE – und die Grube ist das größte Loch Europas. Wer schon mal am Rand der gewaltigen Grube gestanden hat, dem wird es schwerfallen, sich vorzustellen, dass hier eines Tages eine grüne Naturlandschaft mit dem zweitgrößten See von ganz Deutschland entstehen soll. Doch genau das ist der Plan – und mehr: Das Gebiet, wo RWE über Jahrzehnte Braunkohle für die Stromerzeugung abgebaggert hat, soll auch künftig Energie liefern; nur diesmal in Grün.

Riesiger See in NRW am Tagebau Hambach: Schwimmende Solarmodule sollen Strom erzeugen

Die Idee: Auf der riesigen Seefläche sollen künftig Solarmodule schwimmen. Tatsächlich sind die Ausmaße des geplanten Hambacher Sees gigantisch: Der Tagebausee soll auf einer Fläche von 4200 Hektar angelegt werden, eine Fläche so groß wie fast 6000 Fußballfelder. Das ist fast doppelt so groß wie der Kölner Stadtteil Ehrenfeld mit all seinen Einkaufsstraßen und Ausgehvierteln.

Hambacher See soll Photovoltaikanlage auf natürliche Weise kühlen

Die Solarmodule sollen dort dann auf Schwimmkörpern installiert werden. RWE verspricht sich einige Vorteile von der Methode: So rechnet der Konzern mit hohen Energie-Erträgen, denn die Nähe zum Wasser soll die Solarzellen kühlen, sodass diese auch bei hohen Außentemperaturen effizient arbeiten können. Zudem konkurrieren schwimmende Solarparks anders als Anlagen an Land nicht mit Agrarflächen.

Vorbild Niederlande: 4000 Haushalte werden mit Strom versorgt

Erste Tests in den Niederlanden zeigen, dass das Prinzip funktioniert. Dort gibt es bereits mehrere sogenannte Floating-PV-Anlagen. Zum Beispiel in Sekdorn nahe der Stadt Zwolle. Die dortige Anlage hat eine Gesamtleistung von 14,5 Megawatt-Peak (MWp). Damit sollen 4000 Haushalte mit Strom versorgt werden können. Auch RWE hat schon einen Floating-PV-Park im niederländischen Geertruidenberg. Rund 13.400 Solarmodule schwimmen auf einem See in der Nähe des dortigen RWE-Kohlekraftwerks Amer. Damit die Module nicht abtreiben, sind sie an insgesamt 52 Betonblöcken befestigt, die fest auf dem Grund des Sees verankert sind. Über 25 Kilometer Kabel wird der erzeugte Strom zum Ufer gebracht und direkt ins Netz des Kraftwerks eingespeist.

Was hat RWE mit dem Tagebau Hambach vor?

Im und um den Tagebau Hambach – der 2018 durch die Räumung vom Hambacher Forst für Aufsehen sorgte – soll eine attraktive Wald-Seen-Landschaft entstehen, mit Badegewässer, Segelrevier und Erholungsgebiet. Die Flächen um das Gewässer könnten nach Vorstellung von RWE für Solaranlagen genutzt werden, um damit grünen Strom zu erzeugen. Auf dem See soll es sogenannte Floating-Photovoltaikanlagen geben. Neben dem Tagebau Hambach sollen auch die Tagebauten Garzweiler und Inden in Seen umgewandelt werden, schiffbare Kanäle könnten Inden und Hambach sogar verbinden.

Ab 2030, wenn in NRW Schluss ist mit der Braunkohlegewinnung, sollen deshalb drei unterirdische Rohre das Flusswasser vom Rhein im Dormagener Stadtteil Rheinfeld in das rund 26 Kilometer entfernte Grevenbroich-Frimmersdorf leiten. Dort befindet sich der Tagebau Garzweiler. Von dort soll das Wasser auf die Tagebauten Inden und Hambach weitergeleitet werden.

So ähnlich könnte es dann auch beim Hambacher See funktionieren. Wie viele Solarmodule zu Wasser gelassen werden, ist allerdings unklar. Aber schon in zehn Jahren könne man mit der Nutzung des Sees für Energieerzeugung starten, heißt es bei RWE. Die Planungen für die künftige Nutzung von See und Umgebung haben bereits begonnen. An Land soll es 250 Hektar Äcker und Felder geben. Zudem sind eine neue Straße sowie Wanderparkplätze westlich des Sees geplant. Dadurch entsteht eine neue Verbindung für Elsdorf und Niederzier. Die Waldgebiete südlich des Tagebaus sollen durch Waldstreifen, Hecken, Streuobstwiesen und andere ökologischen Maßnahmen besser miteinander verbunden werden. Der Wald auf der nahen Sophienhöhe bleibt als Wandergebiet und Schutzraum für Tiere erhalten.

Zweitgrößter See von NRW am Tagebau Hambach: Wassersport und Stromerzeugung

Am See soll es eines Tages einen Strand geben, und auf dem Wasser sollen Menschen mit Booten unterwegs sein können. Die Landschaft soll also mal zugleich Naherholungsgebiet und Energielieferant werden. Allerdings ist der Plan hochumstritten. Denn die benötigten gewaltigen Wassermengen – der See soll eines Tages 3,6 Milliarden Kubikmeter Wasser See fassen – will RWE aus dem Rhein bei Dormagen entnehmen und zum Tagebau leiten. „Es würde zu lange dauern, bis das Grundwasser wieder ansteigt und das Loch füllt. Deshalb brauchen wir Wasser aus dem Rhein“, erklärt RWE-Sprecher Guido Steffen gegenüber 24RHEIN. Der Konzern schätzt, dass es etwa 40 Jahre dauern wird, bis der See komplett gefüllt ist.

Beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) NRW hält man das für zu optimistisch gerechnet. „Das ist Unsinn“, glaubt Dirk Jansen vom BUND NRW. Aufgrund des Klimawandels werde der Rhein vor allem im Sommer deutlich weniger Wasser führen. „Manche Experten gehen sogar davon aus, dass der Fluss in den Sommermonaten quasi vorübergehend austrocknet, da kann man dann nichts mehr umleiten“, so Jansen. „So wie RWE sich das vorstellt, ist es nicht umsetzbar.“ Selbst wenn es, wie von Klimaforschern prognostiziert, künftig zu mehr Starkregenfällen kommt, werde es mindestens 80 Jahre dauern, bis der Hambacher See den Namen See verdient.

Kritik von NRW-Umweltschützern: „Plörre aus dem Rhein“

Ein weiteres Problem aus Sicht der Umweltschützer: das Rheinwasser selbst. „Wir fordern, dass die Plörre aus dem Rhein nicht ungereinigt in die Landschaft gespült wird“, so Jansen in einem Interview mit 24RHEIN. Denn Rheinwasser sei viel zu stark belastet, um es für eine Renaturierung des Tagebaus zu verwenden. Schon das wieder ansteigende Grundwasser werde wegen des Tagebaus Schwermetalle, Sulfite und andere Schadstoffe enthalten. „Die Wasserqualität ist für Jahrhunderte verdorben, das kennen wir von anderen Tagebauseen. Hier ausgerechnet mit Rheinwasser aufzufüllen, wäre fatal“, so Jansen.

Anwohner fürchten Lärm und Eingriff in die Natur

Auch in Dormagen, wo die Pipeline zwischen Rhein und Tagebau beginnen soll, wird Kritik am Mammutprojekt laut. Erst vor wenigen Wochen hatten zahlreiche Bürgerinnen und Bürger der Stadt im Rhein-Kreis-Neuss ihrem Ärger Luft gemacht. In einer Mitteilung der Stadt ist von „vehementer Ablehnung“ die Rede. Die Anwohner befürchten, dass die Lärmbelästigung durch den Bau und Betrieb der benötigten Pumpanlage groß sein wird und der Eingriff in Landschaft und Natur durch den Tagebausee zu massiv.

Auch Dormagens Bürgermeister Erik Lierenfeld macht kein Geheimnis aus seiner kritischen Haltung gegenüber dem Projekt. „Ich glaube tatsächlich, dass durch die Veränderungen der letzten 30 Jahre viele neue Fragen aufgetaucht sind. Ob die damals im Verfahren schon abgeprüft worden sind, wage ich zu bezweifeln. Das gilt es im jetzigen Verfahren nochmal anzuschauen: Ist das alles richtig? Da habe ich auch noch viele Fragezeichen“, so Lierenfeld gegenüber dem WDR. (pen) Fair und unabhängig informiert, was in NRW und Deutschland passiert – hier unseren kostenlosen 24RHEIN-Newsletter abonnieren.

*Dieses Bild wurde mithilfe maschineller Unterstützung erstellt. Dafür wurde ein Text-to-Image-Modell genutzt. Auswahl des Modells, Entwicklung der Modell-Anweisungen sowie finale Bearbeitung des Bildes: Art Director Nicolas Bruckmann.

Auch interessant