Geisterdörfer in NRW: Bewohner hören nachts unheimliches Klopfen

In den Braunkohledörfern sollen Klimaaktivisten Anwohner eingeschüchtert haben. Ein Dorfbewohner wehrt sich gegen die Empörung und sagt: Die Dörfer haben viel schlimmere Probleme.
Erkelenz – Die Ruhe nach dem Sturm: Lützerath ist geräumt und abgerissen und die Klimaaktivisten verlassen die umliegenden Dörfer. Knapp 1.500 von ihnen hatten während der Räumung und danach in und um Lützerath ausgeharrt, vor allem im Erkelenzer Ortsteil Keyenberg. Das dortige Protestcamp gibt es nun nicht mehr. Es sei in den vergangenen Tagen fast vollständig abgebaut worden, heißt es bei der Polizei Aachen.
Klimaaktivisten: Anwohner in Dörfern bei Lützerath fühlten sich eingeschüchtert
Ein bitterer Nachgeschmack bleibt. Die Aktionen mancher Klimaaktivisten sorgten in den halb verlassenen Dörfern bei Lützerath am Rande des Tagebaus Garzweiler auch für Kritik. „Nach meinem Eindruck kippt die Stimmungslage in den Dörfern ein bisschen“, erklärte der Erkelenzer Bürgermeister Stephan Muckel (CDU) Ende Januar. Es habe Schmierereien gegeben und Fälle von Vandalismus. Einige Anwohner hatten in einem offenen Brief unter anderem einschüchterndes Verhalten der Klimaaktivisten in Keyenberg beklagt, es habe Einbrüche in leerstehende Häuser und Missachtung von privatem Grund gegeben. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte sich daraufhin mit Anwohnern getroffen und das Verhalten mancher Klimaaktivisten kritisiert.
Dorfbewohner kann Kritik an Klimaaktivisten nicht nachvollziehen
David Dresen, der in Kuckum direkt neben Keyenberg lebt, kann die Kritik nicht nachvollziehen. Dresen gehört zu den Bewohnern, die sich in den letzten Jahren zusammen mit der Initiative „Alle Dörfer bleiben“ intensiv für den Erhalt der Ortschaften bei Lützerath eingesetzt hatten: Die Dörfer sollten dem RWE-Braunkohletagebau Garzweiler eigentlich weichen, wurden im Rahmen des vorgezogenen Kohleausstiegs 2030 aber zumindest vorläufig gerettet. Die allermeisten Einwohner haben die Dörfer allerdings längst verlassen, viele Häuser stehen leer. Manche der Orte sind regelrechte Geisterdörfer.
Diebstahl und Vandalismus in Dörfern bei Lützerath „hat nichts mit Klimaaktivisten zu tun“
Diejenigen, die geblieben sind, wissen: Vandalismus ist kein neues Problem. „Es gibt seit Jahren Häusereinbrüche und Metalldiebstähle“, erzählt Dresen. Und zuletzt seien immer wieder Pakete, die vor Haustüren lagen, gestohlen worden und das habe nichts mit den Klimaaktivisten zu tun. Vor allem nachts höre man oft Gepolter und Klopfen, weil Diebe Rohre aus Wänden schlügen und Dachrinnen abmontierten: „Das ist schon unheimlich.“
Viele Anwohner hätten sich immer wieder hilfesuchend an die Stadt gewandt – ohne Erfolg, erzählt Dresen. „Das Hauptproblem ist, dass die Stadt Erkelenz die regelmäßigen Einbrüche nicht als ihr Problem wahrnimmt, weil das auf Grundstücken von RWE passiert.“ Denn viele der leerstehenden Häuser befinden sich im Besitz des Energiekonzerns, der die Häuser einst gekauft hatte, um die Dörfer sukzessive abreißen zu können. „Niemand will die Verantwortung übernehmen“, sagt Dresen. Ihn ärgert, dass jetzt die Klimaaktivisten im Fokus stehen: „Das macht die Empörung seitens der CDU über den Vandalismus noch verrückter, weil seit Jahren viel schlimmere Vorfälle von denselben Leuten einfach ignoriert werden.“
Beschwerden häuften sich – auch über die Klimaaktivisten
Dabei ist das Diebstahl-Problem bei der Stadt Erkelenz durchaus bekannt. „Dieses Delikt fällt allerdings in den Zuständigkeitsbereich der Polizei und nicht der Kommune“, so eine Stadt-Sprecherin. Grundsätzlich hätten sich in den vergangenen Wochen Beschwerden der Bewohner gehäuft. Darauf habe die Stadt mit verschiedenen Maßnahmen reagiert. „Unter anderem hat die Stadt Erkelenz auf eine verstärkte Präsenz der Polizei in den Orten eingewirkt und Gespräche mit der betroffenen Bürgerschaft angeboten und geführt“, so die Sprecherin.

Und tatsächlich habe es in den vergangenen Wochen durchaus Vorfälle gegeben, für die Klimaaktivisten verantwortlich waren, räumt David Dresen ein. Am Tag der Großdemo am 14. Januar in Lützerath sei eine Scheibe eines Hauses von RWE eingeworfen worden, an zehn Häusern des Energiekonzerns gebe es Graffiti. „Und in vier RWE-Häusern haben Aktivisten übernachtet und Toiletten benutzt, die allerdings nicht abspülbar waren, weil sie nicht mehr ans Kanalsystem angeschlossen sind“, so Dresen. Den entstandenen Schaden übernehme die Initiative „Alle Dörfer bleiben“, sagt David Dresen. „Auch wenn wir rein juristisch gesehen eigentlich nicht aufkommen müssten.“
Zukunft der Dörfer bei Lützerath ist unklar
Unklar ist, wie eine Zukunft der verlassenen Dörfer aussehen kann. Viele Menschen haben ihre Häuser längst an RWE verkauft und leben in neuen Siedlungen. Beispiel Kuckum: Von einst knapp 500 Einwohnern sind aktuell etwa 40 übrig. In manchen der leeren Häuser leben nun Geflüchtete aus der Ukraine. Und David Dresen könnte sich vorstellen, dass es in den verlassenen Höfen eines Tages Sozialprojekte und betreutes Wohnen geben könnte.
Zu konkreten Plänen der Stadt ist bislang nichts bekannt. Aber dass Erkelenz an einer dörflichen Wiederbelebung interessiert ist, das glaube er nicht, sagt Dresen: „Man erhofft sich eher große Projekte und vielleicht Hotels in der Gegend.“ Tatsächlich spielen die Garzweiler-Städte mit dem Gedanken, sich für die Internationale Gartenausstellung (IGA) 2037 zu bewerben. Ein Plan: Eine Seilbahn, die über die Tagebaugrube von Garzweiler schwebt. (pen) Fair und unabhängig informiert, was in NRW passiert – hier unseren kostenlosen 24RHEIN-Newsletter abonnieren.