Öffnen Ärzte bald nur noch an vier Tagen?
Die Ärztevereinigung Virchowbund fordert, dass Praxen nur noch vier Tage pro Woche Patienten behandeln sollen. Wie realistisch das ist und was Patientenvertreter fürchten.
Köln – „Praxen sollen mittwochs schließen.“ Mit dieser Forderung hat die Ärztevereinigung Virchowbund Anfang 2023 für viel Aufsehen gesorgt. Nach Vorschlag des Virchowbundes soll die ambulante Versorgung von Patienten künftig nur noch montags, dienstags, donnerstags und freitags stattfinden. Den Mittwoch sollen die Praxen stattdessen „zur Bewältigung der Bürokratie und zur Fortbildung“ nutzen, so die Ärztevereinigung. Aber wie realistisch ist die Forderung und welche Folgen hätte das für Patienten?
Vier-Tage-Woche für Arztpraxen? Grund vor allem steigende Kosten
Als Gründe nennt der Virchowbund vor allem wirtschaftliche Umstände. Hohe Energiepreise und die Inflation würden die Praxen demnach unter „enormen Kostendruck“ stellen. Auf der anderen Seite kämpfe man gleichzeitig gegen „ein budgetiertes Finanzierungssystem und die Streichung von Geldern“. „Für uns ist deshalb klar: Leistungen, die nicht bezahlt werden, können auch nicht erbracht werden. Deshalb müssen wir unsere Leistungen einschränken“, so Dr. Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender des Virchowbundes.
Als weiteren Grund führt der Virchowbund den Fachkräftemangel an. Nach Angaben der Ärztevereinigung betreffe das aktuell rund 75 Prozent aller Hausarzt- und Facharztpraxen. „Eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich mache den Beruf der medizinischen Fachangestellten (MFA) attraktiver und Praxen wieder zu nachgefragten Arbeits- und Ausbildungsplätzen“, so der Virchowbund.

Virchowbund fordert geschlossene Arztpraxen am Mittwoch – Zustimmung und Ablehnung
Die Forderung erfuhr in den vergangenen Wochen und Monaten aus verschiedenen Bereichen sowohl Zustimmung als auch Ablehnung. Während die meisten Krankenkassen den Vorstoß des Virchowbundes ablehnten, haben sich andere Ärzteverbände positiv geäußert. So sieht der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa) die Vier-Tage-Woche als „deutliche Verbesserung der Arbeitssituation und ein geeignetes Mittel, um Praxen wieder wirtschaftlich betreiben zu können“.
Was ist der Virchowbund?
Der Virchowbund ist der Verband der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte Deutschlands e. V. Er vertritt deutschlandweit laut eigenen Angaben rund 144.000 Haus- und Fachärzte und unterstützt sie auch bei der Niederlassung und beim Praxismanagement. Der Verband wurde 1949 in Köln gegründet. Mittlerweile hat der Virchowbund seinen Sitz in Berlin.
Vier-Tage-Woche für Arztpraxen ist auch jetzt schon möglich
Aber egal, wie man zu der Virchowbund-Forderung steht – unrealistisch ist sie nach der aktuellen Rechtslage nicht. Denn theoretisch sei eine Vier-Tage-Woche für Arztpraxen auch jetzt schon möglich, erklärt die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) auf 24RHEIN-Nachfrage. Das aktuell geltende vertragsärztliche Zulassungsrecht biete diese Möglichkeit bereits.
„Vertragsärzte haben ein bestimmtes Maß an Sprechstunden zu erfüllen. Dies sind mindestens 25 Stunden pro Woche für die Versorgung von GKV-Patienten (GKV steht für Gesetzliche Krankenversicherung, gemeint sind also Kassenpatienten; d. Red.) bei einer vollen vertragsärztlichen Zulassung. Eine Vorgabe zur Verteilung dieser Stunden auf die Wochentage gibt es prinzipiell nicht“, erklärt KVNO-Sprecher Christopher Schneider. „Gemäß dem sogenannten ‚Bundesmantelvertrag‘ sollen die Sprechzeiten entsprechend dem Bedürfnis nach einer ausreichenden und zweckmäßigen vertragsärztlichen Versorgung durchgeführt beziehungsweise abgehalten werden.“ Solange die Versorgung der Patientinnen und Patienten gesichert ist, könnten Praxen demnach durchaus nur noch an vier Tagen öffnen.
Vier-Tage-Woche bei Ärzten: Zweifel an ausreichender Versorgung für Patienten
Gerade im Hinblick auf eine ausreichende Versorgung gibt es aber auch Skepsis. Der Virchowbund schlägt vor, dass die Versorgung von Akutfällen mittwochs, wie schon an Wochenenden, der ärztliche Bereitschaftsdienst übernehmen solle. Aber reicht das aus? Beim PatientInnen-Netzwerk NRW ist man da nicht so sicher. „Ganz grundsätzlich halten wir gute Arbeitsbedingungen auch in der ambulanten Versorgung für wichtig“, erklärt Anke Steuer, Sprecherin des PatientInnen-Netzwerks NRW gegenüber 24RHEIN.
Steuer betont aber auch, dass die Kassenärztliche Vereinigung die Sicherstellung der Patientenversorgung rund um die Uhr gewährleisten muss, „entweder durch geöffnete Arztpraxen oder Bereitschafts- beziehungsweise Notfalldienste“. Die Kassensitze seien gekoppelt an Mindestöffnungszeiten, damit die Patientinnen und Patienten entsprechend versorgt werden können. „Nur noch vier Tage in der Woche in der Praxis präsent zu sein, würde diesem Versorgungsanspruch vermutlich nicht gerecht. Schon derzeit klagen viele darüber, dass Arztpraxen kaum noch oder gar nicht telefonisch erreichbar und Termine nur schwer zu bekommen sind. Die vorgeschlagene Schließung würde das Problem vermutlich verschärfen“, so Steuer.
Patientenberarung: Zugang zu Ärzten wurde zuletzt schon schwieriger
Auch die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) sieht schon jetzt vermehrt Probleme bei der Versorgung in einigen Fachbereichen. „Die Zugangsprobleme reichen vom äußerst schwierigen Zugang zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung, dem Zugang zur fachärztlichen Versorgung und dem Zugang zur dauerhaften ärztlichen Versorgung beim Hausarzt oder beim Kinderarzt. Insbesondere letztere Problemlage hat nach unserer Beratungserfahrung im vergangenen Jahr spürbar zugenommen“, sagt UPD-Sprecher Markus Hüttmann auf 24RHEIN-Nachfrage. Der Versorgungsauftrag der Vertragsärzte müsse daher „flächendeckend und kontinuierlich gewährleistet“ werden.
Dazu kommt: Die UPD erlebe laut eigenen Angaben täglich, dass es Menschen schwerfalle, zu beurteilen, wohin sie sich mit welchem Problem und mit welcher Dringlichkeit wenden müssen. „Hier sind aus Patientensicht klare, verständliche und einheitliche Strukturen zu fordern. Komplizierte und regional uneinheitliche Versorgungsangebote mit unterschiedlichen Öffnungszeiten von Arztpraxen und KV-Notdienststellen würden die Orientierung für Patienten aus unserer Sicht weiter erschweren“, betont der UPD-Sprecher.
Kritisch sieht die UPD zudem die wirtschaftlichen Gründe, die der Virchowbund anführt. Man könne die finanzielle Situation von Arztpraxen zwar nicht generell beurteilen, aber „Energiekrise und Inflation treffen natürlich nicht nur Arztpraxen, sondern alle Gesellschaftsbereiche. Die Behandlung von Patienten und die Aufnahme von Neupatienten sollte aber nicht von finanziellen Anreizen und ähnlichem abhängig gemacht werden“, so Hüttmann. (bs) Fair und unabhängig informiert, was in NRW passiert – hier unseren kostenlosen 24RHEIN-Newsletter abonnieren.