Was ist da passiert, warum sind wir so unduldsam geworden, warum brauchen manche Menschen keine Fakten mehr, um eine scharfe Meinung zu entwickeln? Das habe ich jemanden gefragt, der es wissen muss: Den Tiefenpsychologen Jens Lönneker, Gründer und (gemeinsam mit Ines Imdahl) Inhaber des renommierten Kölner Forschungsinstituts rheingold salon. Er hat sich schon länger in Studien mit diesem Thema beschäftigt.
Sein Blick geht zurück auf den Beginn des bürgerlichen Zeitalters. Während im Feudalismus unter Hinweis auf Gottesgnadentum ziemlich willkürlich entschieden wurde, setzte das aufstrebende Bürgertum stark auf die Vernunft. Dieses Credo verband es mit einem Herrschaftsanspruch: Wer herrscht, muss durch nachvollziehbare Begründungen überzeugen. Wer also etwas durchsetzen will, muss logisch und vernünftig argumentieren. Dabei wurde aber sauber unterschieden in öffentliche und private Sphäre: Die Öffentlichkeit war der Raum, wo Vernunft und Rationalität die Maßstäbe setzten, im Privaten war Platz für Emotionen, für Gefühle. Natürlich durfte, sagt Lönneker, auch mit Leidenschaft gestritten werden, aber selbstverständlich auf der Basis von Fakten und Logik.
► Jens Lönneker ist Gründer und Geschäftsführer von Rheingold Salon, die Agentur ist in der Werbe- und Medienforschung aktiv. Als studierter Tiefenpsycologe setzte sich Jens Lönneker unter anderem auch mit der Unsicherheit und den Ängsten der Deutschen in Bezug auf die Corona-Pandemie oder dem Mitgefühl der Kölner auseinander.
► 24RHEIN-Gastautor Michael Hirz vom Kölner Presseclub war bis vor kurzem Programm-Geschäftsführer des Politik-Senders Phoenix und hat u. a. den „Internationalen Frühschoppen“ moderiert. Jetzt ist Michael Hirz freier Journalist, Kommunikationsberater und sitzt im Vorstand des Kölner Presseclub. Dieser Beitrag stammt aus dem Presseclub-Newsletter, den Sie hier abonnieren können.
Dieser Konsens ist aufgekündigt. Öffentliches und Privates vermischen sich zunehmend. Politik kommt kaum noch am Boulevard vorbei, kann auf Twitter nicht verzichten. Die Homestory bei Bild, die Klatschgeschichte bei RTL – alles das wiegt beim Wählervotum genauso wie das kluge Argument. Es sind Politiker wie Donald Trump, die erkannt und skrupellos nutzen. Trump mit seinem untrüglichen Bauchgefühl behauptet heute dies, morgen jenes und spielt meisterhaft auf der Klaviatur von Emotionen, Ängsten und teils niederen Instinkten seiner Anhänger. Die wiederum kümmern die Widersprüche nicht, solange nur ihr Idol ihre Gefühle bedient.
Die sogenannten Sozialen Medien verstärken das, es ist schließlich das Geschäftsmodell von Twitter und Co.: Erregung, so die Logik der entsprechend programmierten Algorithmen, erhöht die Verweildauer, sorgt für mehr Klicks und füllt damit die Taschen der Investoren. Mäßigung rechnet sich eben nicht, Krawall schon. Auffallen um jeden Preis ist die Devise, je schriller, desto besser.
Müssen wir uns auf eine dauerhaft gespaltene, vielfach polarisierte Gesellschaft einstellen? Die USA haben schon immer Europa den Spiegel seiner eigenen Zukunft vorgehalten. Werden wir uns an bizarre Verhältnisse, wie sie unter Donald Trump sichtbar geworden sind, gewöhnen müssen? An offensichtliche Lügen, an Hetze, an Hass, befeuert und verstärkt durch die sogenannten Sozialen Medien? Jens Lönneker will optimistisch bleiben, er glaubt an die Kraft der Aufklärung, dass eine Mehrheit den Unterschied zwischen seriöser und manipulativer Information zu schätzen weiß.
Und natürlich gehört Streit zur Demokratie. Aber Kompromiss als Ergebnis des Streits der Argumente eben auch. Schwierig wird es, wenn die eigene Position absolut gesetzt wird, Respekt vor der Position des anderen als Schwäche gewertet wird. Das gesellschaftliche Gespräch, sagte einmal der Philosoph Hans-Georg Gadamer, lebt von der Vorstellung, dass vielleicht der andere recht haben könnte. (mh/IDZRNRW)