Reul über Klimakleber: „Nicht verstanden, wie das mit dem Rechtsstaat funktioniert“
Die Klimaaktivisten der sogenannten „Letzten Generation“ wollen ihre Proteste bald verstärken. NRW-Innenminister Herbert Reul hat dazu eine klare Meinung.
Köln – Klimaaktivisten der Bewegung „Letzte Generation“ sorgen seit Monaten immer wieder für Aufsehen, indem sie sich auf Straßen kleben und für Staus sorgen. Zu Beginn eher in Berlin unterwegs, starten die Klimakleber immer öfter auch Aktionen in NRW. Am 6. Februar wird die Bewegung ein Jahr alt – dann wollen sie ihre Prostete sogar noch intensivieren. Herbert Reul, Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, verurteilt das Vorgehen der Aktivisten scharf.
„Letzte Generation“ will Proteste ab dem 6. Februar verstärken
„Der Widerstand wird nicht stoppen. Er wird 2023 größer als je zuvor“, sagte Aimée van Baalen, Sprecherin der „Letzten Generation“, im Rahmen einer digitalen Pressekonferenz am vergangenen Montag. Ihr Protest soll deshalb auf die gesamte Bundesrepublik ausgeweitet werden, man wolle den Protest „in jede Stadt und jedes Dorf“ tragen, so die Sprecherin. „Wir sind bereit, die Republik zu einem friedlichen Stillstand zu zwingen, wenn wir weiter nicht gehört werden“, erklärte Sprecherin Aimée van Baalen. Zuvor fanden die Proteste meist in größeren Städten statt. So gab es beispielsweise in Köln im vergangenen Jahr bereits mehrere Fälle von Klimaklebern. Und auch im neuen Jahr war die „Letzte Generation“ bereits ein Störfaktor in der Rheinmetropole, dort wurden zwei Autofahrer sogar handgreiflich.
Reul über Klimakleber: „Nicht verstanden, wie das mit dem Rechtsstaat funktioniert“
„Irgendwas machen wir in den Schulen falsch, die haben das noch nicht verstanden, wie das mit dem Rechtsstaat funktioniert“, so Reul im Podcast „Die Wochentester“ vom Politiker Wolfgang Bosbach und Koch Christian Rach. „Irgendwie haben die es noch nicht verstanden haben, dass es ein ganz hohes Gut ist, dass wir Regeln haben, nach denen wir unser Zusammenleben organisieren“. Wer sich an diese Regeln nicht halte, bekomme ein Problem.
Ganz ähnlich hatte sich Herbert Reul bereits vor anderthalb Wochen im Interview mit 24RHEIN geäußert. Auf die Frage, wie er das Wort „Klimaterroristen“ finde, das den Aktivisten von manchen Kritikern angehängt wurde, sagte Reul: „Da halte ich gar nichts von. Das ist Quatsch. Wenn junge Menschen sich politisch engagieren, für welches legitime Anliegen auch immer, ist das prima. Aber auch junge Leute müssen wissen, dass es in einem demokratischen Rechtsstaat Regeln gibt. Und ich finde, dass sie auch die Haltung haben sollten, dass sie vielleicht nicht immer nur recht haben.“

Ziviler Ungehorsam der Klimakleber – NRW-Innenminister: „Gandhi würde sich im Grab umdrehen“
Die Klimaaktivisten begründen die Legitimität ihres Protests mit der drohenden Klimakrise. Sie selber bezeichnen ihre Proteste deshalb als zivilen Ungehorsam. Eine Vorgehensweise, die historisch aufgeladen ist: Sie wird oft mit dem indischen Pazifisten Mahatma Gandhi assoziiert, der zivilen Ungehorsam als Protestform in der indischen Unabhängigkeitsbewegung propagierte. „Gandhi würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, dass sie sich auf sein Konzept berufen“, sagte Reul im Podcast.
Ziviler Ungehorsam
Laut dem Philosophen John Rawls geht es beim zivilen Ungehorsam um „eine öffentliche, gewaltfreie, gewissenhafte und gleichwohl politische Handlung, die gegen das Gesetz verstößt und in der Regel darauf abzielt, eine Änderung des Gesetzes oder der Politik der Regierung herbeizuführen“.
Im Laufe der Geschichte gab es zahlreiche Persönlichkeiten, die sich auf den zivilen Ungehorsam beriefen. Der wohl bekannteste von ihnen: Mohandas Karamchand (genannt: Mahatma) Gandhi, der sich mithilfe des Konzepts im 19. und 20. Jahrhundert für Menschenrechte einsetzte.
Er finde es zwar toll, dass sich junge Menschen für Politik interessieren, ein politisches Anliegen haben und für Klimaschutz protestieren, aber: Keiner habe das Recht, „auch wenn er die tollste Idee des Jahrhunderts hat, dafür alle anderen Menschen lahmzulegen, Verkehr lahmzulegen, vielleicht sogar Rettungswagen zu blockieren“. In einem demokratischen System gebe es genug andere Wege, Forderungen publik zu machen. „Es kann nicht einfach so weiter laufen und es kann auch nicht mehr als Petitesse oder als Einsetzen für einen guten Zweck gesehen werden“, so der Innenminister.
NRW-Innenminister: Rechtsstaat muss mit allen Mitteln gegen Klimakleber vorgehen
Stattdessen fordert Reul „ein bisschen mehr Verständnis dafür, dass Konsens auch bedeutet, ich allein hab nicht immer Recht“. Die Begründung der Aktivisten, der Protest sei nur eine Notmaßnahme, gelte nicht. „Man muss auch klar sagen, dass das nicht geht und mit allen Möglichkeiten, die der Rechtsstaat bietet, auch da einschreiten“, so Reul. Wie weit die Möglichkeiten reichen, ist jedoch noch nicht endgültig geklärt, denn: Die Entscheidung darüber, ob das Verhalten der „Letzten Generation“ strafbar ist, liegt aktuell noch bei den Gerichten, wie der Kölner Anwalt Christian Solmecke zuletzt gegenüber 24RHEIN erklärte.
Herbert Reul: „Kleben auf der Straße das erste und das Schießen das letzte“
Dem Vorwurf, die Aktivisten würden mit ihren Aktionen Terrorismus ausüben, widerspricht Reul – aber: „Eines ist klar: gefährlich ist es. Wenn Menschen ihre eigene Meinung verabsolutieren [...] dann ist das Kleben auf der Straße das erste und das Schießen nachher das letzte“, so der Politiker.

Im Zuge der Proteste gegen die Räumung des Braunkohledorfs Lützerath hatten sich Aktivisten auch an das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen geklebt. Reul dazu: „War ja nicht schlimm, wir kamen ja trotzdem ins Haus. Aber wir haben dann trotzdem sie von dieser Fensterscheibe gelöst und wir haben dann Anzeige erstattet“. Wer für die Kosten verantwortlich sei, müsse diese letztendlich auch tragen. (mg) Fair und unabhängig informiert, was in NRW und Deutschland passiert – hier unseren kostenlosen 24RHEIN-Newsletter abonnieren.