1. 24RHEIN
  2. Welt
  3. Politik

Fluglotsen in Sorge: Massive Flugausfälle durch Kampfjet-Manöver Air Defender

Erstellt:

Von: Nils Bothmann

Die Luftwaffe erwartet kaum Auswirkungen auf den zivilen Luftverkehr durch Air Defender 2023. Fluglotsen hingegen sehen das völlig anders.

Köln – Wie voll wird es am Himmel über Deutschland vom 12. bis zum 23. Juni? Dann findet die Übung Air Defender statt. Für das gigantische Kampfjet-Manöver werden 230 Flugzeuge aus 25 teilnehmenden Ländern erwartet. Die Bundeswehr bezeichnet Air Defender 2023 als „bis dato größte Luftoperationsübung seit Bestehen der Nato“, an der mit Japan und Schweden auch zwei Länder teilnehmen, die dem Bündnis (noch) nicht angehören. Nach Beginn des Ukraine-Kriegs hat Schweden den NATO-Beitritt jedoch beschlossen, das Nachbarland Finnland wurde bereits aufgenommen und wird als jüngstes NATO-Mitglied mit vier F/A-18 Hornet-Kampfjets Präsenz bei Air Defender 2023 zeigen. Japan ist als einziges G7-Land nicht Mitglied in der NATO, was vor allem an seiner Lage abseits des Nordatlantik liegt. Seit den 1990er unterhält der Staat jedoch enge Beziehungen zu dem Bündnis, weshalb erstmalig ein Transportflieger der japanischen Luftstreitkräfte an Air Defender 2023 teilnimmt.

Dabei gibt es festgelegte Zonen für das Manöver, in denen während der Übungszeiten Flugverbote herrschen. Auch Drohnen dürfen dort nicht aufsteigen. Was für Hobby-Drohnenpiloten eine kleine Unannehmlichkeit ist, bereitet Vertretern der zivilen Luftfahrt jedoch arge Kopfschmerzen – und den Reisenden: Angesichts der Flugverbotszonen werden Auswirkungen auf den Reiseverkehr erwartet. Über Flugausfälle und massive Verspätungen wurde immer wieder diskutiert. Generalleutnant Ingo Gerhartz, Inspekteur der Luftwaffe, versuchte zu beschwichtigen und erklärte bei einem Pressetermin, dass er keinerlei Auswirkungen auf den zivilen Luftverkehr durch das Manöver erwarte. „Da wir in erster Linie Nord- und Ostsee nutzen werden und dies auch nur für wenige Stunden, denke ich, wird sich die Einschränkung in Grenzen halten“, so der 57-Jährige.

Zwei Eurofighter des Taktischen Luftwaffengeschwaders 74 aus Neuburg an der Donau bei einem Übungseinsatz als Quick Reaction Alert (QRA) über dem Chiemsee
Kampfjets wie der Eurofighter nehmen an der Übung Air Defender 2023 teil (Symbolbild) © Bundeswehr/Christian Timmig

Fluglotsen nennen Bundeswehreinschätzung zur Übung Air Defender „unerklärlich“

Die führt jedoch zu heftigem Widerspruch vonseiten der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF). Es sei unerklärlich, wie Gerhartz zu dieser Behauptung komme, erklärte die Gewerkschaft am Donnerstag (25. Mai). „Die Militär-Übung Air Defender wird natürlich massive Auswirkungen auf den Ablauf der zivilen Luftfahrt haben“, sagte GdF-Chef Matthias Maas.

Die Deutsche Flugsicherung (DFS) hat Simulationen durchgeführt, denen zufolge für die Dauer der Großübung täglich mit Gesamtverspätungen im günstigsten Fall von bis zu 50.000 Minuten gerechnet werden müsse. Darüber hinaus werde erwartet, dass bis zu 100 zivile Flüge am Tag ihr Umlaufziel zur Nachtschließung der verschiedensten Flughäfen in Deutschland nicht erreichten. Die Folge: Es kann sein, dass die betroffenen Maschinen am nächsten Tag nicht rechtzeitig am geplanten Ort zur Verfügung stehen.

Damit kommt die Gewerkschaft zu einem ganz anderen Schluss als die Luftwaffe und betont, dass die zitierten Simulationen nicht von ihr selbst stammen. Sie gab neben der DFS auch die internationale Luftsicherheitsorganisation Eurocontrol als Quelle an. Wenn die errechneten täglichen Verspätungen von 50.000 Minuten tatsächlich eintreten, dann sei das wie ein „Tag mit heftigen Gewittern“ und würde somit „deutlich im roten Bereich“ liegen. Dabei will die GdF, die eine Großzahl der Lotsen und Techniker bei der DFS vertritt, nicht gegen Air Defender 2023 an sich protestieren, sondern hält das Manöver angesichts der derzeitigen politischen Lage für notwendig. Allerdings möchte die Gewerkschaft im Vorfeld für Klarheit sorgen und verhindern, dass eventuell Mitarbeiter der Flugsicherung für negative Auswirkungen wie Verspätungen oder Flugausfälle verantwortlich gemacht werden. Zwar gibt es kaum Überschneidungen von Air Defender 2023 und den Sommerferien, da diese lediglich in Nordrhein-Westfalen am 22. Juni anfangen, doch die Übung liegt trotzdem in der Hauptreisezeit in Deutschland.

Was ist Eurocontrol?

Eurocontrol ist ein Akronym für „European Organisation for the Safety of Air Navigation“, zu Deutsch: Europäische Organisation zur Sicherung der Luftfahrt. Die internationale Organisation mit Sitz in Brüssel wurde 1960 gegründet. Bei den sieben Gründungsmitgliedern handelt es sich um Belgien, Frankreich, Deutschland, Luxemburg, die Niederlande und das Vereinigte Königreich. Aktuell gehören 41 Mitgliedsstaaten zu Eurocontrol, zu denen noch Israel und Marokko kommen, die keine vollen Mitglieder, sondern assoziierte, sogenannte „Comprehensive Agreement States“ sind.

Hauptaufgabe von Eurocontrol ist die Koordination der Luftverkehrskontrolle in Europa. Dabei wird nicht nur auf Sicherheit geachtet, sondern auch Kostenfaktoren und Umweltbelastungen durch den steigenden Flugverkehr in Betracht gezogen – beide Punkte möchte Eurocontrol mit Blick auf Nachhaltigkeit möglichst gering halten.

Welche Belastungen sind durch Air Defender 2023 zu erwarten?

Störungen des Reiseverkehrs sind nicht die einzigen Unannehmlichkeiten, mit denen deutsche Bürger durch das Kampfjet-Manöver rechnen. Es wird eine Zunahme des Fluglärms durch Air Defender 2023 erwartet, auch wenn die Bundeswehr die Zusatzbelastung auch in diesem Bereich möglichst gering halten möchte. Jüngst stand auch die Frage im Raum, ob es vermehrt zu Überschallknalle durch die Luftoperationsübung kommen kann. Wenn an Air Defender teilnehmende Kampfjets wie der Tornado oder die F-35 die Schallmauer durchbrechen, kann es zu solchen Lärmereignissen kommen. Allerdings gab die Bundeswehr auch hier Entwarnung: Wenn überhaupt, dann werde ein Überschallknall nur über unbewohnten Gebiet, über dem Meer stattfinden. Zwar gab es in jüngerer Vergangenheit derartige Lärmereignisse, etwa als am 1. Mai zwei Eurofighter für deinen Doppelknall im Bereich Ostwestfalen-Lippe sorgten. Diese waren jedoch als Teil der Alarmrotte aufgestiegen, um einen möglichen Notfall zu untersuchen. Von daher werden mögliche Verspätungen und Flugausfälle wohl die gravierendsten Folgen durch Air Defender bleiben – wie gravierend, darüber sind sich Bundeswehr und Fluglotsen uneins. (nbo mit dpa) Fair und unabhängig informiert, was in Deutschland und NRW passiert – hier unseren kostenlosen 24RHEIN-Newsletter abonnieren.

Auch interessant