Hate Speech im Netz bekämpfen: Was versprechen die großen Parteien in ihren Wahlprogrammen?

Immer wieder werden Politiker selbst Zielscheibe von Hasskommentaren. Was wollen sie gegen die Hetze im Netz tun? Analyse der Wahlprogramme vor der Bundestagswahl.
Berlin - Einen Moment lang war es beim CSU-Parteitag mucksmäuschenstill. Markus Söder zitierte aus E-Mails, die ihn erreichen. Sie sind durchtränkt von Hass, Hetze und Aggressionen. „Du dreckiger Nazi“, „du Ungeziefer gehörst in die Gaskammer“, „wir wollen dir den Schwanz abschneiden, damit sich der menschliche Abschaum Söder nicht vermehren kann“: Bayerns Ministerpräsident wirkt bewegt, als er dies vorliest - und spricht es anschließend selbst aus: „So richtig unberührt kann einen das nicht lassen.“ Söder kündigt „erbitterten Widerstand“ gegen Hate Speech an.
Es nicht das erste Mal, dass Söder derartige Beleidigungen gegen sich öffentlich macht. Auch andere Politiker werden seit Langem aufs Übelste verbal angegriffen. Und nicht nur sie. Dass Hasskommentare ein großes Problem sind, stellt die Gesellschaft immer wieder fest. Doch was will die Politik dagegen unternehmen? Nach der Bundestagswahl* könnte es eine Weichenstellung geben. Merkur.de hat deshalb nachgeschlagen, was die Bundestagsparteien in ihren Wahlprogrammen zum Thema Hass im Netz schreiben.
Wahlprogramm der Union: „Spirale der Verrohung von Sprache durchbrechen“
CDU*/CSU*: Die Union formuliert in ihrem Wahlprogramm auf Seite 114 einen separaten Eintrag unter der Überschrift „Hass und Hetze im Netz bekämpfen“. Soziale Medien seien wichtig für den Meinungsaustausch und die demokratische Willensbildung. Doch die „Spirale der Verrohung von Sprache und politischer Auseinandersetzung“ müsse durchbrochen werden. Wie? Da bleiben CDU und CSU vorerst vage: „Mit allen Mitteln, die dem wehrhaften Rechtsstaat und einer selbstbewussten demokratischen Gesellschaft zur Verfügung stehen.“
Es folgt im „Programm für Stabilität und Erneuerung“* der Vorschlag, „Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden bei besonders schweren Fällen gegebenenfalls auch ohne Anzeige“ einleiten zu können. Wie das genau funktionieren soll, bleibt offen; auch eine Grenze, ab wann dieser Schweregrad beginnt, wird nicht genannt. Die Union spricht sich für eine „Vielzahl präventiver Instrumente“ und kostenloser Hilfsangebote für Betroffene aus. Opferanwälte sollen besonders schwere Fälle betreuen, für traumatisierte Opfer soll es eine psychosoziale Prozessbegleitung geben. Außerdem werden im Wahlprogramm der Parteien um Kanzlerkandidat Armin Laschet* die Nutzungsbedingungen der Plattformbetreiber angesprochen. Durch dieses „virtuelle Hausrecht“ dürfe nicht die politische Willensbildung beeinflusst werden. „Dazu wollen wir insbesondere das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Bürgerlichen Gesetzbuch verfassungskonform anpassen.“
CDU und CSU sprechen sich für Verbote von Symbolen des Hasses aus. Die CSU erwähnt in ihrem eigenen Programm für Bayern noch einen Punkt, der das Personal in der Justiz betrifft. Spezialisierte Einheiten in Form von „Hate-Speech-Staatsanwälten“ wie in Bayern soll es in ganz Deutschland geben.
Video: Was ist Hate Speech? Was kann jeder gegen Hetze im Internet tun?
SPD vor der Bundestagswahl: „Konsequentes Vorgehen gegen Hasskriminalität im Netz“
Hassreden im Internet zersetzen unsere Gesellschaft.
SPD*: Kanzlerkandidat Olaf Scholz* spricht viel von „Respekt“. In diesem Kontext greifen die Sozialdemokraten auch im Wahlprogramm mehrfach das Thema „Hass“ aus. Beschreibend heißt es etwa im „Zukunftsprogramm“*: „Wo dieser Respekt fehlt, zerfällt unsere Gesellschaft. Hassreden im Internet zersetzen unsere Gesellschaft.“ Die SPD stelle sich „mit aller Entschiedenheit“ gegen Hass und Hetze.
Im Kapitel „Digitale Souveränität in Deutschland und Europa“ heißt es auf Seite 16: „Für den Schutz unserer Demokratie und die Sicherheit Einzelner benötigen wir auch im Netz ein konsequentes Vorgehen gegen Hasskriminalität, Betrug und andere Straftaten.“ Für diese Verfolgung brauche es sowohl technisch als auch personell „hinreichend“ ausgestattete Strafverfolgungsbehörden. Die unkonkrete Formulierung wird direkt noch einmal verwendet: „Bei hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten auf eine Straftat müssen Verdächtige identifiziert werden können.“ Welche Mittel dafür genutzt werden dürfen, wird nicht angesprochen. Stattdessen heißt es bei der SPD, dass die Schutzvorschriften im Strafgesetzbuch und Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG)* weiterentwickelt werden sollen. Außerdem setze sich die SPD für verbindliche Regeln in Europa ein (Digital Services Act).
Doch auch ziviles Engagement sei nötig. Deshalb unterstütze die SPD Organisationen gegen Hass im Netz. Zu einer viel diskutierten Maßnahme positionieren sich die Sozialdemokraten auch: Eine Klarnamenpflicht im Netz soll es nicht geben.
Hass im Netz: AfD ist für die Abschaffung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes
AfD*: Das Wort „Hass“ kommt im Wahlprogramm der AfD mit dem Titel „Deutschland. Aber normal.“* nicht vor. Allgemein schreibt die Partei: „Die AfD setzt sich für eine schnelle Verbesserung der Justizorganisation, für eine Stärkung unseres Rechtssystems und für einen effektiven Rechtsschutz der Bürger ein.“ Im Kapitel zu „Medien“ ab Seite 164 betont die Partei die Bedeutung der Meinungsfreiheit. Jede Zensur von Meinungsäußerungen sei ein Angriff auf dieses Grundrecht.
Da die politische Willensbildung nicht einseitig beeinflusst werden dürfe, müssten Plattformbetreiber als „Quasi-Oligopol“ dazu verpflichtet werden, die Meinungsfreiheit der Nutzer zu respektieren. „‘Faktenprüfer‘ und Meinungswächter dürfen keine staatliche Finanzierung erhalten“, schreibt die AfD. Darüber hinaus würden „diffuse Vorstellungen von ‚politischer Korrektheit‘“ die öffentliche Diskussion durch „Sprach- und Denkverbote“ ersticken.
Die AfD verlangt die Abschaffung des NetzDG. Außerdem soll es eine zentrale Meldestelle geben, an die sich Personen wenden können, die von Rechtsverletzungen auf Plattformen betroffen sind. „Auf Länderebene soll es Schwerpunkt-Justizzentren für die Rechtsdurchsetzung im Netz geben.“
FDP-Wahlprogramm zu Hasskommentaren: Sperrung von Accounts in Betracht ziehen
FDP*: Die Freien Demokraten unterstreichen den „freien und unbefangenen Wettstreit der Meinungen“. Die Partei steht laut ihrem Wahlprogramm „Nie gab es mehr zu tun“* für eine offene Debattenkultur, „die Meinungsvielfalt fördert und schützt“. Der Staat stehe aber in der Pflicht, entschieden gegen Straftaten, Hass und Hetze im Netz vorzugehen.
Im thematischen Block zu „Presse- und Meinungsfreiheit schützen“ ab Seite 38 schreibt die FDP, dass die Verfolgung von Straftaten im Netz effektiver werden soll. Auch die Liberalen wollen das NetzDG abschaffen. Es setze bisher „einseitig einen Anreiz zur Löschung von Inhalten und legt die Entscheidung über die Grenzen der Meinungsfreiheit allein in die Hände sozialer Netzwerke“. Deren Einfluss soll aber in den Augen der FDP verringert werden - durch „Einrichtungen der Selbstregulierung als Beschwerdeinstanz“. „Es ist primär Aufgabe des Staates, gegen strafbare Handlungen im Netz vorzugehen.“ Opfer von Straftaten im Netz sollen einen Auskunftsanspruch gegen Plattformen und Internetprovider erhalten. Wenn der Täter anonym bleibt und nicht reagiert, sei auch die Sperrung des Accounts eine Möglichkeit. Soziale Netzwerke sollen zudem sogenannte Zustellungsbevollmächtigte im Inland benennen müssen.
Die FDP wirbt dafür, in der Schule die digitalen Kompetenzen von Kindern zu fördern, um beispielsweise mit Desinformation, Hate Speech und Cybermobbing richtig umgehen zu können.

Bundestagswahl 2021: Auch die Linke beobachtete mehr Hassbotschaften im Netz
Die Linke*: Die Zunahme von Hassbotschaften greift die Linke in ihrem Wahlprogramm „Zeit zu handeln! Für soziale Sicherheit, Frieden und Klimagerechtigkeit“ rund um den Aspekt „Medienvielfalt“ (Seite 128) nur kurz auf. Zur Macht der Internetkonzerne schreibt die Partei: „Plattformbetreiber dürfen weder verpflichtet werden, ohne richterlichen Beschluss Inhalte zu löschen, noch dürfen große Plattformen sich ihr eigenes Parallelrecht ohne öffentliche Kontrolle schaffen.“ Digitale Gewalt muss in den Augen der Partei juristisch anerkannt und verfolgt werden. Dafür brauche es Kompetenz in den Strafverfolgungsbehörden.
Vorschlag der Grünen zur Bekämpfung von Hate Speech: repräsentative, zivilgesellschaftliche Plattformräte
Die Grünen*: Auf Seite 180 des Wahlprogramms widmet sich die Partei von Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock* der wirksameren Bekämpfung von Hasskriminalität im Netz. Es brauche dafür einen „effektiven Gesetzesrahmen“. Betroffene müssten sich schnell gegen Angriffe wehren können. Entsprechend soll der Digital Services Act der EU zügig umgesetzt werden.
Zudem drängen die Grünen in ihrem Programm „Deutschland. Alles ist drin“* auf „personell wie technisch bestmöglich aufgestellte Strafverfolgungsbehörden“. Die Mitarbeiter bräuchten klare Rechtsvorgaben und müssten gut geschult sein. Plattformbetreiber wiederum dürfen laut den Grünen Rechte nicht aushöhlen, seien für Inhalte haftbar und müssten beim Moderieren von Kommentaren und Postings die Grundrechte wahren.
Ein Vorschlag der Partei: „Bei Entscheidungen darüber, welche Inhalte auf digitalen Plattformen keinen Platz haben dürfen, könnte der gezielte Einsatz von repräsentativen, zivilgesellschaftlichen Plattformräten eine Möglichkeit sein.“ Darüber hinaus schlägt die Partei vor, dass große Anbieter - wer auch immer darunter fällt - durch eine Abgabe unabhängige Beratungsangebote für Betroffene von Hass und Hetze unterstützen. „Dies wollen wir bündeln in einem Gesetz für digitalen Gewaltschutz“, heißt es. Die Grünen wollen die Möglichkeit schaffen, gegen Accounts vorzugehen, wenn kein Täter identifiziert wird. (cibo) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.
Dieser Artikel ist Teil der Serie „Hate Speech im Netz“* von IPPEN.MEDIA. Darin beleuchten wir das Problem Hassrede aus unterschiedlichen Blickwinkeln und wollen konstruktive Möglichkeiten aufzeigen, diesem gesellschaftlich relevanten Thema zu begegnen. Als reichweitenstarkes Medium ist uns eine offene Community wichtig - doch Regeln müssen eingehalten werden. Hate Speech findet bei uns keinen Platz. Um zügig gegen womöglich strafrechtlich relevante Kommentare vorzugehen, sind wir Teil der bayerischen Initiative „Justiz und Medien – konsequent gegen Hass“.