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„Überkrasse Niederlage“: Spahn geißelt SPD-Machtanspruch als schlechten Witz

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Anne Will und ihre Gäste in der Sendung vom 12.02.2023
Anne Will und ihre Gäste in der Sendung vom 12.02.2023 © NDR/Wolfgang Borrs

Wegner oder Giffey – wer regiert? Nach der Berlin-Wahl diskutiert Anne Will die Koalitionsfrage. Dass die SPD mitreden will, sorgt bei Jens Spahn für Kopfschütteln.  

Berlin – Die Hauptstadt hat gewählt. Die CDU ist bei der Berlin-Wahl 2023 der Gewinner des Abends. Doch ob der Partei um den Berliner Vorsitzenden Kai Wegener eine Koalitionsbildung mit der SPD oder den Grünen gelingt, gilt als unsicher. Denn trotz Einbußen von Wählerstimmen – vor allem bei der SPD unter der Führung der noch amtierenden Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey – wäre der Fortbestand der bisherigen Regierung durchaus denkbar.

Berlin-Wahl 2023: Saskia Esken und Jens Spahn streiten bei Anne Will über die Koalition

Die offene Machtfrage diskutiert Anne Will mit ihren Gästen in ihrem Polit-Talk im Ersten unter dem Titel „Berlin-Wahl, zweiter Versuch – Neustart oder weiter so?“. Für SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken ist das eine Steilvorlage. Die Sozialdemokratin räumt der Weiterführung der bisherigen Koalition von SPD, Grünen und Linkspartei gute Chancen ein – trotz eines CDU-Wahlsieges.

„Anne Will“ - diese Gäste diskutierten mit:

Eine Regierungsbildung müsse „ein Gesamtwerk von mehreren Parteien“ sein, sagt Esken zur Bewertung des Ergebnisses bei der Berlin-Wahl. Sie lässt keine Zweifel daran, dass es ihrer Meinung nach für die SPD mit der Berliner CDU kaum Überschneidungen gebe. Theoretisch wäre auch eine Große Koalition möglich. Doch CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner habe einen „Abgrenzungs- und Spaltungswahlkampf“ geführt, so Esken und sieht deswegen keine Vertrauensbasis.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Spahn kann sich eine Spitze gegen die SPD-Kontrahentin nicht verkneifen: Nach der Bundestagswahl, bei der die SPD zwei Prozentpunkte vor der CDU lag, hätte Esken von einer „krassen Niederlage“ gesprochen. Jetzt habe die CDU in Berlin zehn Prozent Vorsprung. Spahn: „Ich weiß nicht, wie Sie das nennen? Überkrass?“ Esken schaut gelangweilt.

ARD-Talk: Grünen-Parteichef Nouripour äußert sich bei Will skeptisch gegenüber ein Bündnis mit der CDU

Der Grünen-Parteichef Omid Nouripour tritt zurückhaltender auf und drückt sich zunächst vielsagend aus: „Wir gratulieren Kai Wegner zum Wahl-Sieg!“ Und er befindet: „Es wäre nicht anständig, einfach so weiterzumachen.“ Doch auch Nouripour sieht in den Koalitionsverhandlungen keinen Selbstläufer für Wegener, der bereits auch schon Schwarz-Grün als Option ins Spiel gebracht hat: „Wer regieren will, muss Mehrheiten organisieren“, erklärt Nouripour und gibt zu bedenken: „Wenn die Inhalte nicht passen, dann passen sie eben nicht. Und dieser Wahlkampf war nicht zwingend so, dass man das Gefühl hat, dass die CDU jetzt mit Siebenmeilenstiefeln auf uns zu rennt, um uns zu umarmen.“

Als Anne Will ergänzt, Wegner habe im Wahlkampf deutlich gesagt, „dass er mit den Grünen keine Koalition machen werde“, korrigiert Jens Spahn prompt und offenbart, welche Befindlichkeiten der CDU-Bundespolitiker hat. „Er hat gesagt: Diese Verkehrspolitik wird es mit mir nicht geben“, berichtigt Spahn und setzt noch einen anderen Haken: „Franziska Giffey hat beim letzten Mal noch so viele Prozente bekommen, weil viele darauf gesetzt haben, dass sie eine Große Koalition macht.“

Streitpunkte von Schwarz-Grün: Jens Spahn verteidigt nach Berlin-Wahl „Kleine Paschas“-Wortwahl von Merz

Anne Will verweist auf den Umstand, dass ein Großteil der aktuellen Berliner CDU-Wähler angab, die Partei aus Unzufriedenheit über die bisherige Regierung gewählt zu haben, nicht unbedingt aus Überzeugung. Spahn bewertet das nüchtern. Die CDU habe „schlicht und ergreifend die Probleme, die Themen dieser Stadt angesprochen“. Spahn wirft im Gegenzug der SPD vor, die Probleme, die durch Integration entstünden, dagegen zu ignorieren.

Er macht sich in der Runde keine Freunde, als er die umstrittene „Kleine Paschas“-Rede von CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz als Kritik an „kulturell vermittelte toxische Männlichkeit“ verteidigt. „Wow“, ruft ihm Saskia Esken zweimal mit sarkastischem Unterton entgegen. Aber Spahn bleibt bei seiner Meinung: Beim Kontakt mit Lehrkräften höre er den Ausdruck häufig, so der ehemalige Gesundheitsminister und nennt den Iran als Beispiel, bei dem eine „religiöse und kulturelle Prägung“ dazu führe, dass „Männer mehr zählen als Frauen“.

Das ruft Befindlichkeiten bei dem in Teheran geborenen Nouripour hervor, der betont, dass „man wirklich über alles reden darf, in diesem Land“, aber um Differenziertheit bittet. „Im Iran ist es so, dass Frauen auf die Straße gehen und ihr Kopftuch den Sicherheitsleuten ins Gesicht werfen“, so Nouripour, „und ihre Brüder und ihre Väter“ stünden „mit ihnen auf der Straße“. Das jetzt miteinander zu vermischen, sei echt „Wow“ stimmt er Esken zu.

Am Ende der Talk-Show bekommt die FDP ihr Fett weg - sie verpasste den Einzug in Berlin

Ein bitteres Ergebnis fuhr auch die FDP in Berlin ein, die bei der Wahlwiederholung an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte und nun nicht mehr im Senat vertreten sein wird. Spahn kommentierte den Umstand mit einem Blick auf die Bundespolitik: Die Partei müsse sich „die Frage stellen, ob die sogenannte Fortschrittskoalition nicht eher Rückschritt für sie“ bedeute. Nouripour und Esken schütteln energisch den Kopf. „In 95 Prozent der Fälle sind wir uns einig“, widerspricht Saskia Esken den Darstellungen Spahns.

Fazit des „Anne Will“-Talks

Bröker fasst am Ende der Sendung zusammen: Es müsse das Ziel von Politik sein, „immer wieder zu verstehen, was wirklich die Leute umtreibt“ und „immer wieder dorthin gehen, wo es uns wirklich weh tut als Bürger!“ Inhaltlich war die Sendung dünn. Sie zeigte aber, dass eine Wahl sehr wohl aufrütteln kann, dass Mehrheitsverschiebungen den Druck auf Veränderungen verstärken können. (Verena Schulemann)

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