Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte immerhin ein Angebot im Gepäck. „Deutschland ist in Vorleistung getreten, wir haben unsere nationalen Ziele verschärft und wollen Klimaneutralität bereits bis 2045 erreichen“, sagte die CDU-Politikerin am Montagabend in Brüssel. Getrieben wurde die Regierung durch ein Verfassungsurteil. Aber damit liegt Deutschland nun ziemlich genau auf dem künftigen EU-Kurs. „Das neue deutsche Klimaziel von minus 65 Prozent Treibhausgase bis 2030 passt ziemlich gut zu dem neuen EU-Ziel von mindestens minus 55 Prozent im Vergleich zu 1990“, bestätigt Klimaexperte Jakob Graichen vom Ökoinstitut in Berlin. Trotzdem ist aus seiner Sicht nicht ausgeschlossen, dass Deutschland nachbessern muss. Das hängt davon ab, an wie vielen Schräubchen gedreht wird.
Traditionell fährt die EU* beim Klimaschutz zweigleisig. Der europäische Emissionshandel ETS soll die Klimagase aus Energieerzeugung, Industrie und Luftfahrt drücken; bei den übrigen großen Verursachern wie Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Müll setzt man auf Lastenteilung - im Englischen etwas freundlicher „Effort Sharing“ genannt. Das bedeutet, die nötige Reduzierung der Klimagase in diesen Sektoren wird mit nationalen Zielen unter den 27 Staaten aufgeteilt. Jetzt muss in beiden Strängen nachgelegt werden. Im Entwurf der Gipfelerklärung sind einige Eckpunkte genannt: Man will weiter nationale Ziele, die Lastenteilung soll wie bisher „breit angelegt“ sein, und zur Verteilung sollten dieselben Kriterien gelten wie bisher. Zugleich betont man die Notwendigkeit, „EU-weite sektorale Maßnahmen“ zu stärken. Zahlen werden noch nicht erwähnt.
Eine der Streitfragen: Müssen die östlichen EU-Staaten mehr tun - und wie viel finanzielle Hilfe bekommen sie dafür? Bisher hatten sie geringere Vorgaben, weil sie wirtschaftlich aufholen sollen. So muss Bulgarien nach derzeitigen Regeln bis 2030 gar keine Treibhausgas-Minderung in den Sektoren erreichen, die nicht vom Emissionshandel erfasst sind. Für Rumänien sind es minus 2 Prozent, für Polen minus 7 Prozent im Vergleich zu 2005. Im EU-Schnitt sind es hingegen für diese Sektoren bisher minus 30 Prozent, für Deutschland minus 38 Prozent, für Luxemburg und Schweden sogar minus 40 Prozent.
„Der Abstand zwischen armen und reichen EU-Ländern bei den geforderten Anstrengungen für den Klimaschutz muss schrittweise verkleinert werden, weil alle bis 2050 klimaneutral werden sollen“, sagt Graichen. „Länder wie Bulgarien müssten also künftig mehr tun als unter der bisherigen Vereinbarung zur Lastenteilung.“ Widerstand ist absehbar. Polen gilt dabei als größter Bremser. EU-Diplomaten mutmaßen, dass sich das Land zumindest weitere Hilfen für den Kohleausstieg sichern will, auch wenn dafür bereits Geld aus Brüssel zugesagt ist.
Der zweite Knackpunkt: Soll der Emissionshandel ausgeweitet werden und künftig auch den Verkehr und Gebäude erfassen? Das sei „eine konkrete Möglichkeit“, sagte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans vor einigen Tagen. Das würde bedeuten, dass auch für den Verbrauch von Kraft- oder Heizstoffen EU-weit einheitlich Verschmutzungsrechte benötigt würden, ähnlich wie für die Abgase aus Kraftwerken oder Fabriken. Hohe Kosten sollen Anreiz sein, in neue Technik zu investieren.
Deutschland hat das auf nationaler Ebene gerade eingeführt, und Merkel lässt erkennen, dass sie die Ausweitung auf EU-Ebene unterstützt. Im Kreis der EU-Staaten sei Deutschland damit aber isoliert, orakeln die Grünen im Europaparlament*. Sie sind selbst strikt gegen die Ausweitung des EU-Emissionshandels auf Verkehr und Gebäude und warnen, dass ein hoher CO2-Preis ohne Ausgleich direkt Verbraucher treffen würde. Ihr Argument: Besser Autobauern niedrigere Abgaswerte vorschreiben, als Autofahrern untragbare Kosten aufbürden. (dpa/aka) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.