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„Hausaufgaben“ für die Ampel: Grünen-Politikerin Künast will NetzDG verbessern - doch EU und FDP stehen im Weg

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Von: Cindy Boden

Renate Künast (Grüne) spricht bei der Plenarsitzung im Bundestag
Renate Künast (Grüne): Seit Jahren kämpft die Grünen-Politikerin gegen Hass im Netz. © Bernd von Jutrczenka/dpa (Montage)

Die Grünen meckerten beim NetzDG schon viel herum. Im Kampf gegen Hass gebe es noch Mängel. Nun besitzt die Partei Regierungsmacht - was ist jetzt damit? Fragen an Renate Künast.

München/Berlin – Seit zwei Jahrzehnten verfolgt Grünen*-Politikerin Renate Künast den deutschen Politikbetrieb aus dem Bundestag. Sie war bereits Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende und Bundesministerin. Schon lange kämpft sie öffentlich gegen Hass im Netz. Erst kürzlich erreichte sie vor dem Bundesverfassungsgericht ein wegweisendes Urteil.* Im Interview mit IPPEN.MEDIA macht Künast deutlich, an welchen Stellen sie noch kämpfen will. Denn das Netzwerkdurchsetzungsgesetz habe noch Mängel. Wie und wann diese beseitigt werden sollen, verrät Künast hier.

Interview mit Renate Künast zum NetzDG: Was ist jetzt damit?

Frau Künast, wenn Sie eine Liste mit wichtigen politischen Themen hätten, die die Ampel-Parteien und der Bundestag zügig angehen sollen, wo in diesem Ranking würde das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) stehen?

In der Bedeutung recht weit vorne. Jetzt kommt jedoch das kleine Aber: Wir haben den Zwischenschritt, dass auf europäischer Ebene der Digital Services Act (DSA) beraten wird. Das wäre eine Art europäisches Netzwerkdurchsetzungsgesetz, da geht es auch nicht nur um Hasskriminalität*. Für mich ist das Dringlichste, dass sich die Bundesregierung in diesen Beratungen so einbringt, dass unser NetzDG oder der Jugendschutz nicht zurückgeschraubt werden müssen, sondern die Mängel, die da noch immer sind, dann bei der Umsetzung des europäischen Rechts behoben werden können.

Von welchem Zeitrahmen sprechen wir da? Von Jahren?

Eigentlich will die französische Ratspräsidentschaft diesen Trilog bis Ostern oder kurz nach Ostern fertig haben. Dann könnten die Gesetzespakete fertig gemacht und in diesem ersten halben Jahr noch verabschiedet werden. Es folgen natürlich mehrere Jahre Umsetzungsfristen für die einzelnen Mitgliedsstaaten. Aber spätestens dann wüssten wir die Mindeststandards und könnten dieses dringende Thema in Deutschland zeitnah angehen.

Netzwerkdurchsetzungsgesetz und Digital Services Act

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz zielt auf die Bekämpfung von Straftaten und Hassrede im Netz*. Es ist seit Oktober 2017 in Kraft, wurde aber bereits geändert. Soziale Netzwerke sollen Beschwerden schnell bearbeiten, strafbare Inhalte zügig löschen. Der Meldeweg muss für Nutzer leicht auffindbar sein. Außerdem verlangt das NetzDG von den Plattformanbietern Transparenzberichte zum Umgang mit Hasskriminalität. Verstöße gegen die Pflichten können mit Bußgeldern geahndet werden.

Der Digital Services Act ist ein geplantes Gesetz über digitale Dienste in Europa. Damit will die EU Internet-Konzerne unter anderem dazu verpflichten, stärker gegen Hassnachrichten vorzugehen. Das EU-Parlament stimmte bereits für die stärkere Regulierung der Onlinekonzerne.

Renate Künast erkennt Mängel beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz: „Hätten uns da anderes System vorgestellt“

Sie sagen, im deutschen NetzDG gebe es noch Mängel. Welche denn?

Wir haben noch ein, zwei alte Hausaufgaben. Punkt eins: In unserem NetzDG ist eine Meldepflicht normiert worden. Das heißt, dass nicht nur wir als User bei den Diensten Posts melden und auffordern, zu löschen. Seit 1. Februar 2022 müssen die Dienste ans Bundeskriminalamt (BKA) melden. Da gab es leider handwerklich schlechte Arbeit der alten Regierung, die jetzt von Google, Facebook und anderen beklagt wird, unter anderem weil das quasi eine halbe Vorratsdatenspeicherung ist. Ich hoffe, dass das Gericht da bald zu einer Entscheidung kommt und wir dann gegebenenfalls das Gesetz anpassen. Wir hätten uns als Grüne da ein anderes System vorgestellt.

Nämlich?

Dass erst eine Prüfung stattfindet, ob es aus Sicht einer staatlichen Stelle eine Straftat ist, und erst dann die zuvor durch die Plattform eingefrorenen Daten ans BKA gegeben werden. Das BKA muss dann schnell reagieren und sagen: „Ich will die Daten haben, ich nehme an, es ist zum Beispiel eine Verleumdung.“ Damit würde verhindert, dass eine riesige Datensammlung beim BKA entsteht, die nicht strafbare Handlungen darstellt. Das ist nicht im Sinne des Datenschutzes. Aber nun haben wir ein Gesetz, dass wegen der handwerklich schlechten Arbeit erstmal von den großen Plattformen bis zur gerichtlichen Entscheidung nicht umgesetzt werden muss.

Was ist Hausaufgabe Nummer zwei?

Ein Demokratiefördergesetz. Der ganze Kampf gegen diese rechtsextremen, systematisch orchestrierten Aktivitäten braucht eine aktive Zivilgesellschaft. Es gibt so viel Engagement vor Ort, wo sich Leute hinwenden können, geschützt werden, ihnen rechtlich geholfen wird. Das müssen wir auch finanzieren. So ein Gesetz ist jahrelang, insbesondere von der CDU* und CSU* verhindert worden. Das ist für mich ein vordringlicher Punkt dieses Jahr. 

Plattformen sollen strafbare Inhalte melden und Daten weitergeben - doch sie klagen

Ab 1. Februar 2022 sollte eine Bestimmung des neuen NetzDG greifen. Doch teilweise wird sie noch nicht angewendet. Es geht um die Frage, ob digitale Plattformen im großen Stil Nutzerdaten von mutmaßlichen Straftätern und mögliche Hasspostings an das BKA melden müssen. Mehrere Unternehmen klagen dagegen. Es steht eine juristische Grundsatzentscheidung aus.

NetzDG und Telegram - wie gehört das zusammen? Grünen-Politikerin Künast will dringend etwas verändern

Eine weitere Baustelle ist Telegram. Es ist nicht geklärt, ob der Dienst unter das NetzDG fällt oder nicht. Warum schreibt der Gesetzgeber Messengerdienste nicht einfach zügig in das Gesetz?

Das haben wir als Grüne in den ganzen Beratungen zweimal beantragt - es ist immer abgelehnt worden.

Warum schreiben Sie Messengerdienste dann jetzt als Regierungspartei nicht rein?

Jetzt sind wir in einer Situation, wo es sinnvoll ist, die Beratungen über das DSA in der EU abzuwarten. Dann werden wir sowieso die nationalen Regelungen überarbeiten müssen. Aber für mich ist klar, es muss verändert werden. Allein von Telegram good will zu erwarten, reicht nicht. 

Also Ihrer Meinung nach sollte Deutschland nur dieses europäische NetzDG mittragen, wenn das klipp und klar drinsteht?

So einfach sind Gesetzgebungsverfahren nicht. Erst mal ist es ja dringend nötig, eine Regelung für den europäischen Binnenmarkt zu erreichen. Ich erwarte, dass die Bundesregierung und französische Präsidentschaft im Trilog für angemessene Regelungen sorgt. Der Kinderschutz und die Manipulation durch Werbung gehören dazu. Man darf nicht klein beigeben, wenn diese Social Media sagen: „Was, wir müssen da neues Personal einstellen?“ Wir dürfen nicht durch zu wenig Regulierung Geschäftsmodelle schützen, die am Ende systematisch die Würde und die Persönlichkeitsrechte von Menschen verletzen.

Grünen-Politikerin Künast: „Wir bewegen uns da in Zeitspannen von drei, vier Jahren“

Grünen-Anträge forderten auch schon Eilverfahren, um zivilrechtliche Wege zu verbessern.

Ich habe vor vielen Jahren erkämpft, dass es ein Auskunftsrecht gibt, damit der Rechtsweg zum Schutz der Persönlichkeitsrechte überhaupt möglich wird. So auch bei dem Verfahren, das gerade beim Bundesverfassungsgericht geendet ist. Wir bewegen uns da allerdings in Zeitspannen von drei, vier Jahren. Da läuft das Recht aber leer. Dafür muss es Eilverfahren geben, denn eine Üble Nachrede oder ein Fakezitat ist in dem Zeitraum schon dreimal in der Erdumlaufbahn gewesen, bis man überhaupt Auskunft bekommt.

Woran liegt es, dass das zurzeit so lange dauert?

Es ist die allgemeine Belastung der Gerichte. Hier müssen wir fordern, dass die Wirkmacht des Hasses im Netz gesehen wird und deshalb hier auch eine Eilbedürftigkeit angenommen wird. 

Ja, ich habe ganz hohe Erwartungen. Wenn die Europäische Union ein schlechtes Gesetz machen würde, das den Anforderungen nicht gerecht wird, dann wird es den Problemen in der Gesellschaft nicht gerecht.

Renate Künast (Grüne)

Sie haben 2017 in einer Bundestagsdebatte gesagt, Sie hätten „immer noch das Gefühl, dass der Reiz, zu löschen, größer ist als der Reiz, Recht und Meinungsfreiheit einzuhalten“. Sehen Sie das heute, fast fünf Jahre später, immer noch so?

Das war damals richtig, das war mein Eindruck. Mittlerweile habe ich gelernt, dass sich die sozialen Plattformen an verschiedenen Stellen absichern. Innerhalb dessen, was das NetzDG will, agieren sie doch relativ sauber. Jetzt kommen aber ein paar Lücken: Wenn zum Beispiel einmal ein Falschzitat als solches erkannt und gelöscht wurde, dann müssten meines Erachtens auch alle anderen gleichen oder kerngleichen Falschzitate gelöscht werden. Insoweit müssen sie meiner Meinung nach auch selbst suchen müssen. Das gilt es europarechtlich sicher zu stellen. 

Sie haben insgesamt also hohe Erwartungen an die europäischen Verhandlungen.

Ja, ich habe ganz hohe Erwartungen. Wenn die Europäische Union* ein schlechtes Gesetz machen würde, das den Anforderungen nicht gerecht wird, dann wird es den Problemen in der Gesellschaft nicht gerecht und ist es ein schlechtes Vorbild für andere. Wir müssen den Spagat zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechten sauber hinkriegen.

Renate Künast (Grüne) zum NetzDG: „In dieser Legislatur“

Die Haltung der FDP zum NetzDG

Die FDP steht von Beginn an kritisch zum NetzDG, forderte sogar dessen Abschaffung. Dabei betonte die Partei aber, dass der Kampf gegen Hass wichtig sei. Nur brauche es dafür eine effektive Verfolgung von Straftaten im Netz, die „Aufnahme eines meinungsfreiheitsschützenden Regulierungsansatzes“ und Maßnahmen, durch die Betroffene selbst gegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen vorgehen könnten. Nicht die kommerziellen Dienste sollten solche Fragen entscheiden, sondern Staatsanwälte. Manche Regelungen des NetzDG sollen laut FDP in das Telemediengesetz überführt werden.

Zurück zur nationalen Ebene: Die Regierungsparteien FDP und Grüne haben recht unterschiedliche Vorstellungen beim NetzDG. Haben Sie mit Ihren Ampel-Kollegen oder Bundesjustizminister Buschmann schon über das Thema gesprochen?

Wir sind natürlich im Gespräch und müssen als Erstes aufpassen, wie die Verhandlungen auf europäischer Ebene laufen. Wir haben ein paar Dinge dazu vereinbart. Jeder weiß, dass die FDP* einen anderen Freiheitsbegriff als wir hat. Für mich bedeutet Freiheit hier nicht, der eine kann immer alles sagen, sondern Freiheit ist die aller. Zentral ist jetzt, für gute Entscheidungen auf europäischer Ebene Sorge zu tragen.

In dieser Legislatur soll noch etwas gelingen?

Ja, in dieser Legislatur. Das Demokratiefördergesetz sowieso bald. Die digitale Welt ist schnell und alle Staaten mit der Regulierung sehr spät dran. Die Zukunft der Demokratie wird im Netz entschieden. Wir merken jetzt schon, dass im Alltag die Aggression zunimmt. Wir werden unsere eigene Demokratie nicht wiedererkennen, wenn wir das einfach schrankenlos laufen lassen. Es fängt damit an, dass Menschen sich zurückziehen, sich nicht äußern, sich nicht engagieren. Wenn Engagement nicht mehr geht, weil die Leute sagen, dieser Tortur setze ich meine Familie und mich selber nicht aus, dann ist die Basis von Demokratie weg. 

Das Interview führte Cindy Boden. *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

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