Hass im Netz: Bayerns Justizminister Eisenreich hat Wenn und Aber von Facebook satt

Bayerns Justizminister steht mit Facebook in Konflikt - wegen Hass im Netz. Auch vom Bund erwartet Eisenreich eine Klarstellung. Bei der Vorratsdatenspeicherung hat er konkrete Ideen.
München - Rassistische Beleidigungen, menschenverachtende Äußerungen und der Aufruf zu Gewalt: Gewisse Bevölkerungsgruppen sehen sich täglich Hass im Netz ausgesetzt. Neben beispielsweise Homosexuellen und Geflüchteten werden auch Politiker immer wieder Opfer von Hate Speech. „Ich bin der Meinung, dass Politiker nicht empfindlich sein dürfen. Aber niemand muss Beleidigungen oder Bedrohungen aushalten“, sagt dazu Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU). Er selbst sei bisher wenig von Hasskommentaren betroffen: „Das liegt möglicherweise auch daran, dass man sich beim Justizminister bewusst zurückhält“, mutmaßt er im Interview mit Merkur.de*. Nichtsdestotrotz schreibt er sich den Kampf gegen Hassrede auf die Fahne.
Bayern will Hate Speech im Netz keinen Raum lassen: „Wir greifen durch“
Anfang 2020 hat er in Bayern ein Bündel von Maßnahmen erlassen, um der Flut an Hass-Postings Herr zu werden. Mehr geschultes Personal bei den Staatsanwaltschaften, Durchsuchungen durch die Polizei um 7 Uhr in der Früh und das Projekt „Justiz und Medien - konsequent gegen Hass“ gehören dazu. „Wir wollen als Staat ein klares Signal senden: Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, wir schauen hin, wir greifen durch“, sagt Eisenreich.
Denn Hate Speech habe mittlerweile eine Dimension angenommen, die eine Gefahr für unsere Demokratie sei. Vergiftetes Klima. Manchmal auch aus Hassrede resultierende Gewalttaten. Und: „Hate Speech ist ein Frontalangriff auf die Meinungsfreiheit“, denn abwertende und verunglimpfenden Äußerungen verhinderten Diskussionen. Aus Angst vor Hasskommentaren trauen sich manche Menschen weniger, ihre Meinung offen zu verbreiten.
Video: Was ist Hate Speech? Was kann jeder gegen Hetze im Internet tun?
Beleidigung, Bedrohung und Volksverhetzung sind nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt
IPPEN.MEDIA wolle eine offene Gesprächskultur fördern, betont Geschäftsführer Jan Ippen, der beim Interview mit am Tisch sitzt. „Diskussionen sollen zu einem produktiven Miteinander führen. Um das zu gewährleisten, filtern wir Hate Speech heraus.“ Einfach die Kommentarspalten zu schließen, sei keine Lösung. Doch Hasskommentare anzuzeigen, darauf setzt auch CSU*-Minister Eisenreich. Durch das Projekt „Justiz und Medien“ sind innerhalb von über 1,5 Jahren 244 Prüfbitten übermittelt worden. Staatsanwälte prüfen dann, ob die Kommentare, die Medien auf ihren Seiten entdeckt haben, auch strafrechtlich relevant sind. Beleidigungen, Verleumdung, üble Nachrede, Bedrohung oder Volksverhetzung: All das fällt nicht mehr unter die Meinungsfreiheit des Grundgesetzes*.
Ich erwarte, dass die sozialen Medien die Auskunftsverlangen unserer Staatsanwaltschaften ohne Wenn und Aber beantworten.
Eisenreich stellt heraus, dass die Zusammenarbeit mit Medien gut funktioniere. Mit manchen sozialen Netzwerken sehe das anders aus: „Wenn wir einen strafbaren Post haben, brauchen wir den Urheber. Da erwarte ich, dass die sozialen Medien die Auskunftsverlangen unserer Staatsanwaltschaften ohne Wenn und Aber beantworten. Das läuft noch nicht so, wie wir uns das vorstellen.“ Mit Facebook stehe er schon seit zwei Jahren in Konflikt. Er will die Plattformen durch entsprechende Gesetze stärker in die Verantwortung nehmen. Aber: „Ich erwarte von ihnen auch aus eigenem Antrieb mehr Einsatz gegen Hate Speech. Sie machen Riesengewinne auf der einen Seite, auf der anderen Seite werden die Probleme auf die Gesellschaft und den Staat übertragen. Das funktioniert so nicht.“
Eisenreich erkennt im NetzDG „wirklich ein gutes Gesetz“ - aber der Bund muss noch etwas klarstellen
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, kurz NetzDG, versucht seit einigen Jahren, Facebook und dessen Konkurrenz mehr in die Pflicht zu nehmen. Ab Februar 2022 müssen große Plattformen Hasskommentare nicht nur löschen, sondern auch melden. Doch Eisenreich sieht trotz des „wirklich guten Gesetzes“ eine Lücke: Fällt Telegram darunter? Auf dem Messenger-Dienst tummeln sich vermehrt Extremisten, Querdenker oder andere Verschwörungstheoretiker, die in Gruppen womöglich strafbare Inhalte austauschen und verbreiten. „Ich fordere vom Bund deshalb, dass wir hier eine Klarstellung bekommen“, sagt Eisenreich.
Auch wenn viele das Ziel hinter dem neuen NetzDG unterstützen, Unsicherheit darüber bleibt, ob die Flut an Kommentaren, die womöglich bald gemeldet wird, überhaupt bewältigt werden kann. „Wir haben schon heute 25 spezialisierte Ermittler in der Verfolgung von Hate Speech in Bayern“, entgegnet Eisenreich. „Wenn sich aufgrund der neuen Anzeigepflicht herausstellen sollte, dass wir noch mehr Personal brauchen, dann werde ich es auch zur Verfügung stellen“, verspricht er. Beleidigungen, üble Nachrede und Verleumdung sind sowieso noch von der Anzeigepflicht ausgenommen. Man müsse erst einmal schauen, wie viele Kommentare überhaupt zusammenkommen, begründet der bayerische Minister diese Ausnahmen. „Wenn man die ersten Erfahrungen gesammelt hat, kann man sich überlegen, das entsprechend auszuweiten. Das ist aus meiner Sicht ein sinnvolles Vorgehen.“

Klarnamenpflicht? „Nicht notwendig“ - Vorratsdatenspeicherung? „Begrenzt und zeitlich befristet“
Noch zwei andere Maßnahmen gegen Hate Speech werden immer wieder diskutiert: die Pflicht, den echten Namen auf Plattformen zu nennen, und die Vorratsdatenspeicherung. Eine Klarnamenpflicht hält Eisenreich nicht für notwendig. Bei der Speicherung von Daten, um sie für die Verfolgung von Straftaten einzusetzen, bleibt er nicht so strikt.
„Ich will keinen Überwachungsstaat und keinen gläsernen Bürger“, stellt er sofort klar. Es gebe zwar eine Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes*, die die anlasslose Verkehrsdatenspeicherung grundsätzlich nicht zulasse. „Aber es gibt ein neues Urteil, nach dem der EuGH den Mitgliedstaaten Spielräume eröffnet, insbesondere für den Bereich von IP-Adressen.“ Diese Spielräume sollten genutzt werden - „für eine begrenzte und zeitlich befristete Verkehrsdatenspeicherung, damit man bei schweren Straftaten erfolgreich ermitteln kann“. Zur Erläuterung: Für die einfache Beleidigung sieht er das nicht, aber bei schweren Fällen der Volksverhetzung rechnet er mit großer Zustimmung. „Uns würden schon zwei, drei Monate helfen“, grenzt Eisenreich ein.
Künstliche Intelligenz kann Menschen beim Filtern von Hasskommentaren unterstützen
Weil der Schwall an Hass und Hetze so gewaltig geworden ist, können die Strafverfolgungsbehörden nicht gegen alles und jeden vorgehen. Künstliche Intelligenz könnte zumindest filtern, was Mitarbeiter prüfen sollten. Doch für den Einsatz dieser Technik braucht es eine neutrale Grundlage, von der der Computer lernt. „Deswegen ist es notwendig, dass ein Dialog mit allen Beteiligten, den sozialen Netzwerken, aber auch mit Forschung und Lehre geführt wird“, meint Jan Ippen.
Die Wissenschaft tüftelt, aber solange es den Durchbruch nicht gibt, müssten alle einen Beitrag leisten. „Jeder wird gebraucht“, sind sich Eisenreich und Ippen einig. (cibo) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.
Das vollständige Interview mit Justizminister Georg Eisenreich und IPPEN.MEDIA-Geschäftsführer Jan Ippen lesen Sie hier bei Merkur.de*.
Dieser Artikel ist Teil der Serie „Hate Speech im Netz“ von IPPEN.MEDIA. Darin beleuchten wir das Problem Hassrede aus unterschiedlichen Blickwinkeln und wollen konstruktive Möglichkeiten aufzeigen, diesem gesellschaftlich relevanten Thema zu begegnen. Als reichweitenstarkes Medium ist uns eine offene Community wichtig - doch Regeln müssen eingehalten werden. Hate Speech findet bei uns keinen Platz. Um zügig gegen womöglich strafrechtlich relevante Kommentare vorzugehen, sind wir Teil der bayerischen Initiative „Justiz und Medien – konsequent gegen Hass“*.