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Hendrik Wüst: Schwieriger Weg zu Schwarz-Grün

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Von: Michael Hirz

Sondierungsgespräche nach Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen: Hendrik Wüst, Mona Neubaur
Hendrik Wüst (CDU) und Mona Neubaur (Grüne) müssen ihre mitunter gegensätzlichen Parteien und Wählergruppem zueinander bringen. © Rolf Vennenbernd / dpa

Die NRW-CDU in eine Koalition mit den Grünen führen, ohne dass die Partei Glaubwürdigkeit bei ihren Stammwählern verliert: Keine leichte Aufgabe für Parteichef Hendrik Wüst, findet unser Gastautor Michael Hirz.

Natürlich bringt es nichts, über den Lieblingssong von Hendrik Wüst zu spekulieren. Aber vielleicht ist es ja ein alter Hit von Wolf Biermann: „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu.“ Denn der NRW-Ministerpräsident, der gerade mit den Grünen eine Koalition schmieden will, hat nur wenig gemein mit dem stramm konservativen CDU-Posterboy Hendrik Wüst von 2007, als er mit einer Streitschrift unter dem Titel „Warum die Union wieder mehr an ihre Wurzeln denken muss“ die Partei mehr nach rechts rücken wollte. Doch das war gestern und natürlich ist der Konrad Adenauer zugeschriebene Satz richtig, dass ihn niemand daran hindern könne, jeden Tag klüger zu werden. Aber ob es dann wirklich klüger ist, weiß man erst hinterher.

NRW: CDU und Grüne über Jahrzehnte unversöhnlich

Doch geht mit Schwarz und Grün da wirklich zusammen, was zusammenpasst? Eine CDU, die sich lange als Gralshüterin bürgerlicher Werte verstanden hat, und die alternative Bürgerschreck-Partei von einst? In keinem Bundesland war der Graben tiefer zwischen Union und Grünen als in Nordrhein-Westfalen. Zu dieser jahrzehntelangen Unversöhnlichkeit hatten vor allem scharfe Konflikte in der Energiepolitik beigetragen: Während etwa die CDU-Landesregierung mit einem wochenlangen massiven Polizeieinsatz den Hambacher Forst 2018 räumen lassen wollte (geschätzte Kosten: 50 Millionen Euro), protestierten Grüne gemeinsam mit Besetzern gegen diese Maßnahme. Der Weg zu einer gemeinsamen Energie- und Klimapolitik im Industrieland NRW ist weit.

1000 neue Windräder, zum Teil dichter ran an die Wohnbebauung als bisher erlaubt? Bisher hat die CDU das aus Sorge vor Bürgerprotesten abgelehnt. Und wie weiter in der Inneren Sicherheit? Der populäre Kampf von Herbert Reul gegen die Clan-Kriminalität? Analyse-Software? Flächendeckende Videoüberwachung? Ausrüstung der Polizei mit Polizei mit Elektroschockern und Bodycams? Alles das, sagen Grüne, ist mit ihnen nicht zu machen. Dafür setzen sie auf eine Mietpreisbremse, fordern „absoluten Vorrang für Fuß- und Radverkehr“, plädieren für Ausbau des Schienennetzes und des Öffentlichen Personennahverkehrs, für eine Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre.

Ab wann folgt die Wählerschaft nicht mehr der CDU?

Der Blick von der Landeshauptstadt nach Köln zeigt: Für die CDU ist im Zweifel ihr Tafelsilber nur Handelsware. Nun sind traditionell bürgerliche Parteien wie die Union keine Programmparteien, sondern pragmatische Machtmaschinen. Aber auch da gibt es einen Punkt, an dem ihnen die Wählerschaft nicht mehr folgt. Weil sie den Unterschied zwischen Pragmatismus und Prinzipienlosigkeit durchaus kennt. Erfolgreich hat das der grüne Ministerpräsident und praktizierende Katholik Winfried Kretschmann vorgeführt, der mit seiner „neuen Idee des Konservativen“ in Baden-Württemberg fest im bürgerlichen Milieu verankert ist und trotz seines Alters eine junge Wählerschaft begeistern kann.

Inzwischen nämlich hat sie – vor allem in den Metropolen – die mittlerweile moderaten Grünen als neue Heimat einer modernisierten Bürgerlichkeit entdeckt. Ziele wie der Klimaschutz und Umweltbewusstsein sind längst keine politischen Nischenprodukte mehr, sie gehören zur DNA dieses tonangebenden Milieus der Besserverdienenden und Bessergebildeten. Nur wer solche Ziele glaubwürdig als seine eigenen präsentiert, kann Wählerinnen und Wähler überzeugen.

Der Publizist Michael Hirz war Programm-Geschäftsführer des Politik-Senders Phoenix und hat u. a. den „Internationalen Frühschoppen“ moderiert. Jetzt ist Michael Hirz freier Journalist, Kommunikationsberater und sitzt im Vorstand des Kölner Presseclub. Dieser Beitrag stammt aus dem Newsletter des Kölner Presseclub, den Sie hier abonnieren können.

NRW: Mitte der Gesellschaft längst kein Erbhof mehr für die CDU

Für Hendrik Wüst heißt das, aus Kölner Fehlern für Düsseldorf zu lernen. Flexibel, aber auch erkennbar zu bleiben. Welche Position muss aufgegeben werden, welche verteidigt? Denn seine eigene Jugendlichkeit steht im Kontrast zu einer bei der Union deutlich überalterten Wählerschaft, bei der die CDU gegenwärtig nur noch in der Generation Ü-70 eine Mehrheit hat. Bei aller Euphorie über sein gutes Ergebnis der NRW-Wahl weiß Wüst, dass die Mitte der Gesellschaft längst kein Erbhof der CDU mehr ist, dass die Partei die aktiven Jahrgänge wieder für sich einnehmen muss, um Macht und Einfluss zu erhalten, um nicht aus der Zeit gefallen und altbacken zu wirken. Und das geht nur über Veränderung.

Der bekannte Historiker Andreas Rödder hat das in seinem Buch „Konservativ 21.0“ ziemlich gut beschrieben. Es handelt von der Kunst, werteorientiertes Profil zu entwickeln und dennoch an den Zeitgeist anschlussfähig zu werden. Aber gute Lektüre will auch gelesen und gute Ratschläge wollen befolgt werden. (mh/IDZRW)

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