Lindner mimt den Doppelwumms-Beschwichtiger – ausgerechnet überfordert wirkender Merz gibt ihm recht

Energiekonzerne erleben goldene Zeiten. Und der Verbraucher zahlt die Zeche. Wie kann der Staat die Bürger entlasten? Merz und Lindner wirken bei Illner überfordert.
Berlin – Der Mineralölkonzern Shell hat seinen Gewinn auf 40 Milliarden Dollar verdoppelt. Bei Exxon Mobil beträgt die Steigerung sogar 140 Prozent. „Big Oil macht Big Money“, sagt Maybritt Illner. Trotz der Gewinne geht der Exxon-Konzern juristisch gegen die Gewinnabschöpfung von zwei Milliarden Euro vor – während er 15 Milliarden an seine Aktionäre ausschütten kann. Ungleichgewichte bestimmen den Talk bei Maybrit Illner am Donnerstagabend im ZDF.
Mit Maybrit Illner diskutierten diese Gäste:
- Friedrich Merz (CDU-Parteivorsitzender)
- Christian Lindner (Bundesfinanzminister, FDP-Parteivorsitzender)
- Annabel Oelmann (Vorstand Verbraucherzentrale Bremen)
- Jens Südekum (Prof. für Internationale Ökonomie)
Finanzminister Christian Lindner (FDP) sagt: „Bei den Stromkonzernen greifen wir in die Preisgestaltung ein und schöpfen Zufallsgewinne ab.“ Der EU-Solidarbeitrag komme noch hinzu, doch bei den Ölkonzernen sei das Problem, dass sie kaum in Deutschland sitzen, sondern im Ausland. „Da ist mit sehr wenig zu rechnen.“ Ansonsten übt er sich in Beschwichtigung: „Wir gehen mit dem öffentlichen Geld sorgfältig um. Es ist alles ist nur geborgtes Geld.“
Von den drei Oppositionsparteien ist Friedrich Merz (CDU) eingeladen, doch der wirkt blass. Seine Kritik hält sich in Grenzen, immer wieder bestätigt er sogar den Minister („Da haben Sie recht“, „richtig gesagt“), ansonsten schlüpft er über weite Strecken der Sendung in die Rolle des Zuschauers. Wenn er spricht, lächelt Lindner oft. Kein gutes Zeichen.
Illner im ZDF: Inflation und hohe Energiepreise – wer profitiert vom Doppelwumms der Entlastungspakete?
Ökonom Jens Südekum spricht Klartext: Der Wumms und der Doppelwumms, also 100 Milliarden Entlastungspaket im Sommer und weitere 200 Milliarden im Herbst, würden wenige effiziente Maßnahmen enthalten. „Optimal sind sie nicht“, sagt Südekum. Er selbst habe zuvor sogar einen anderen Vorschlag gemacht. „Der hätte nur zwischen sechs und zehn Milliarden gekostet“. Doch der sei zum damaligen Zeitpunkt von der Bundesregierung abgelehnt worden – mit der Begründung „zu teuer“.
Wie jetzt das 30-fache Geld pauschal auf arme und reiche Menschen verteilt werde, findet er kritikwürdig. „Auch wir, wie wir hier sitzen, profitieren von der Strompreisbremse, wo man sagen müsste, wir hätten es eigentlich nicht gebraucht mit unserem Einkommen.“ Illner stellt fest: „Inflation und hohe Energiepreise sind gekommen, um zu bleiben.“ Die Frage sei: „Kann man die einfach wegsubventionierten? Und was tun, damit die Industrie nicht einfach auswandert?“
Lindner spricht von schnelleren Entscheidungsprozessen, weniger Bürokratie. Einen Fehler in der Politik der Ampel sieht er nicht. Und auch der Einspieler zum Start der Sendung hat es klargemacht, dass keinesfalls die Energiewende für die Entwicklung verantwortlich ist, sondern allein weltpolitische Ereignisse: „Der Ukraine-Krieg hat Deutschlands Geschäftsmodell zerstört. Plötzlich explodierten die Preise bei Öl, Gas und Strom.“ Das will Friedrich Merz so nicht stehenlassen: „Strom war ja auch vor dem Krieg schon teuer.“ Die Chance, dieses Thema zu vertiefen, lässt er verstreichen.
Christian Lindner: Müssen bis März warten, dann greift der Preisdeckel für Strom und Gas
Während die Energiepreise auf dem Weltmarkt zwischenzeitlich bereits wieder rückläufig sind, bleibt fraglich, wann der Verbraucher das spürt. Ein Video-Einspieler macht das deutlich: „Die Energiepreise haben sich beruhigt, doch sinken die Preise? Ja, klar! Erst vervierfacht, dann auf das Doppelte reduziert. Preis gesenkt…“ Die Einkaufspreise seien eklatant gesunken, und „die Bürger wissen immer noch nicht, was auf sie zukommt“, beklagt auch Ökonom Südekum.
Lindner mahnt zur Geduld. Man müsse bis zum März warten, dann greife der Preisdeckel. Merz rät dazu, „ein so extremes Überangebot an Strom zu schaffen“, dass dadurch die Preise von allein sinken würden. Bisher hingegen machten die Betreiber von Solar- und Windkraftanlagen satte Übergewinne für Strom, den sie nicht einmal produzieren. Grund sei das Merit-Order-Prinzip.
Die Folgen für die Bürger erlebt Annabel Oelmann ganz hautnah. Die Menschen seien verunsichert und hätten viele Fragen, sagt die Verbraucherschützerin. Die Verbraucherzentrale habe bereits reagiert und fertige „Online-Formate“ produziert, die man einfach über das Internet abrufen könne. „Sonst würden wir den Ansturm gar nicht schaffen“, sagt Oelmann. Dennoch rät sie den Menschen, die kostenlose Energieberatung in der Verbraucherzentrale umfangreich in Anspruch zu nehmen.
Und bei den Verträgen hat sie einen handfesten Tipp: „Der Markt kommt gerade in Bewegung. Ich würde in diesen Zeiten gar nichts abschließen, was 24 Monate Laufzeit hat.“ Bei bestehenden und geänderten Verträgen habe die Verbraucherzentrale bereits die ersten Musterfeststellungsklagen angestrengt. Grund: Einige Versorger hätten wichtige Vertragsänderungen und Preiserhöhungen auffällig unauffällig getarnt. Oelmann: „Die sahen wie Werbeschreiben aus.“
Ökonom an Lindner: Sie haben ein Problem mit Steuererhöhungen
Doch wer kontrolliert eigentlich, ob die Preise fair und gerecht sind? „Die Kartellbehörde?“, fragt Illner. Merz antwortet: „Das Kartellamt ist eine Missbrauchsbehörde und keine Kontrollbehörde.“ Südekum sieht in der Beweislastumkehr „ein scharfes Schwert“. Künftig müsse der Versorger begründen, ob die Preiserhöhung gerechtfertigt ist. Das seien Vorkehrungen gegen Missbrauch. Aber die Gewinnabschöpfung sei unzureichend, weil – er richtet sich direkt an Lindner – „Sie immer ein Problem haben mit dem Begriff Steuererhöhung. Da hätte man mehr machen können.“
Lindner entgegnet: „Ich habe mit überhaupt nichts ein Problem.“ Aber das Steuerrecht sei immer auch „anfällig für Stammtischurteile und für Geschmacksurteile“. Die Unternehmen würden in unsicheren Zeiten ebenfalls investieren. „Auch die Raffinerien sind ein Risiko eingegangen. Alle sagen, wir machen Elektroantriebe, wir wollen kein Öl mehr, jetzt sagen wir nein, wir investieren aber noch in die Raffinerie. Und plötzlich wird sie gebraucht. Da fällt es schwer zu sagen: Folge ich dem Bauch und dem Herzen, die Gewinne müssen weggesteuert werden. Oder sage ich mit dem Kopf: Welche Auswirkungen hat das langfristig auch für die Berechenbarkeit eines unparteiischen Steuerrechts. Das ist nicht so einfach.“
Fazit des Talks bei Maybrit Illner
Viele Fragen, aber noch mehr steuerliche und regulatorische Details kamen zur Sprache. Für die Zuschauer eine bisweilen ermüdende Diskussion. Ohne die Verbraucherschützerin Oelmann und den Ökonomen Südekum wären die Befindlichkeit der Durchschnittsverdiener vermutlich komplett auf der Strecke geblieben. Merz als alleiniger Vertreter der Opposition wirkte zeitweise überfordert. (Michael Görmann)