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Kampf um Mariupol: Warum die Hafenstadt für Putin so wichtig ist

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Von: Christian Stör

Mariupol ist die am stärksten bombardierte Stadt im Ukraine-Krieg. Sie ist der Schlüssel zu Putins Feldzug in der Ukraine. Aber warum?

Mariupol - Die Hafenstadt Mariupol ist im Ukraine-Konflikt* besonders hart umkämpft. Seit Wochen belagern russische Streitkräfte die Stadt, sie haben Mariupol mit Artillerie, Raketen und Flugkörpern bombardiert und die Stadt schwer beschädigt, teilweise gar zerstört. Sie haben auch den Zugang zu Strom, Heizung, Frischwasser, Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung abgeschnitten – und damit eine humanitäre Katastrophe geschaffen.

Ein Ende der Kämpfe ist dennoch nicht in Sicht, die Ukraine lehnt eine Kapitulation ab. Tatsächlich hat die Regierung um Wolodymyr Selenskyj* geschworen, die Stadt notfalls bis zum letzten Soldaten zu verteidigen. Dazu kann es durchaus kommen. Russische Truppen dringen langsam in das Zentrum vor, gleichzeitig dürfte Russland* seine Bombardierung verstärken – und dabei kaum oder gar keinen Unterschied zwischen Soldaten und der belagerten Zivilbevölkerung machen.

Dieses von Maxar Technologies zur Verfügung gestellte Satellitenbild zeigt die Folgen des Luftangriffs auf das Theater von Mariupol (M).
Dieses von Maxar Technologies zur Verfügung gestellte Satellitenbild zeigt die Folgen des Luftangriffs auf das Theater von Mariupol (M). © dpa

Putin will seinem Volk einen Triumph in Mariupol präsentieren

Russland will Mariupol in der Tat um jeden Preis erobern. Die Vorwürfe über das brutale Vorgehen der russischen Truppen häufen sich jedenfalls. „In Mariupol spielen sich massive Kriegsverbrechen ab“, sagte etwa der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Montag (21.03.2022). Und Ihor Schowka, der Sicherheitsberater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, sprach im ZDF* von einem „Völkermord“ in Mariupol. Noch immer sind fast 350.000 Menschen in der Stadt eingeschlossen.

Es scheint klar, dass Wladimir Putin* in Mariupol einen militärischen Triumph sucht, den er seinem Volk präsentieren kann. Auch zahlreiche eigene Verluste in der Schlacht um Mariupol nimmt er dabei in Kauf. Denn gerade Mariupol hat für Putin aus verschiedenen Gründen im Ukraine-Krieg* eine besondere Bedeutung gewonnen.

Putin will in Mariupol den Landkorridor zwischen der Krim und dem Donbass sichern

Mariupol ist für Putin aus geografischen Gründen wichtig. Eine Landbrücke von Russland zu Halbinsel Krim wäre ein großer strategischer Erfolg für Russland. Zudem würde Putin mit der Eroberung von Mariupol die volle Kontrolle über mehr als 80 Prozent der ukrainischen Schwarzmeerküste erlangen – was die Ukraine* zusätzlich isolieren würde.

Zudem würde ein erfolgreiches Ende der Schlacht um Mariupol zusätzliche Kräfte freimachen, die dann andernorts im Ukraine-Krieg eingesetzt werden könnten. Hier bieten sich mehrere Möglichkeiten an:

Putin könnte Erfolg in Mariupol propagandistisch ausschlachten

In Mariupol kämpft aufseiten der Ukraine vor allem das umstrittene Asow-Regiment, das schon im Sommer 2014 als paramilitärische Miliz an den Kämpfen um Mariupol teilgenommen hat und später in die ukrainische Armee eingegliedert worden ist. Den Kämpfern der Asow-Brigade* werden außer ihrer rechtsextremen Ideologie zahlreiche Menschenrechtsverstöße und Kriegsverbrechen vorgeworfen.

Die Rolle der Gruppe schürte nach 2014 Befürchtungen über den wachsenden Einfluss rechtsextremer Nationalisten in der Ukraine. Wladimir Putin selbst hatte den Angriff auf die Ukraine am 24. Februar unter anderem damit begründet, die Ukraine „entnazifizieren“ zu wollen - ein aus Sicht von Experten unhaltbarer Vorwand.

Von einer „absurden Erzählung“ Putins spricht beispielsweise die israelische Extremismus-Expertin Rita Katz von der US-Nichtregierungsorganisation SITE Intelligence Group. Zwar sei das Asow-Bataillon eine rechtsextreme nationalistische Bewegung, der sich auch Rechtsradikale aus anderen Ländern anschlössen*. Es sei aber falsch, wenn Putin behaupte, die Regierung des von dem jüdisch-stämmigen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geführten Landes sei von Neo-Nazis durchsetzt.

Für Putin wäre ein Sieg im Mariupol dennoch ein wichtiger Erfolg, den er entsprechend propagandistisch ausschlachten könnte. E4r wäre damit seinem Ziel, die Ukraine zu „entnazifizieren“ aus seiner Sicht einen großen Schritt nähergekommen.

Schlacht um Mariupol: Putin will die ukrainische Wirtschaft niederdrücken

Mariupol ist ein strategisch wichtiger Hafen am Asowschen Meer, einem Teil des Schwarzen Meeres. Die Universitätsstadt hat einen internationalen Seehafen und war vor dem russischen Beschuss ein wichtiges Industrie- und Wirtschaftszentrum der Ukraine. Hauptexportgut war bisher die Metallverarbeitung. Zudem war Mariupol ein wichtiger Exportknotenpunkt für Stahl, Kohle und Mais.

Seit der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 ist Mariupol zwischen russischen Streitkräften auf der Halbinsel und den prorussischen Separatisten in den abtrünnigen, selbsternannten Republiken Donezk und Luhansk eingeklemmt. Der Verlust von Mariupol würde der ukrainischen Wirtschaft schweren Schaden zufügen.

Mariupol

Mariupol ist eine ukrainische Stadt in der Oblast (Verwaltungsbezirk) Donezk und hatte vor dem russischen Einmarsch rund 430.000 Einwohner, etwa zu gleichen Teilen Ukrainer wie Russen. Zwischen 1778 und 1780, also noch vor der zaristischen Annexion der Krim 1783, organisierte die russische Verwaltung den Abzug von mehr als 30.000 Griechen und Armeniern von der Krim in die Steppe nördlich des Asowschen Meeres. Ihr Zentrum wurde das 1789 gegründete Mariupol. Die „Stadt Mariens“, so der griechische Name Mariupols, blieb lange ein Zentrum pontos-griechischer Kultur, bis im 19. Jahrhundert eine systematische Russifizierung erfolgte und zahlreiche russisch-griechische Mischehen geschlossen wurden. Noch bis Ende des 19. Jahrhunderts blieb aber die Mehrheit der Stadtbevölkerung griechischer Herkunft. (kna)

Sieg in Mariupol wäre für Putin von großer historischer Bedeutung

Ein militärischer Triumph in Mariupol wäre für Wladimir Putin ein großer Erfolg. Er sieht die Schwarzmeerküste der Ukraine als zu etwas gehörend, das Noworossija (Neurussland) genannt wird – russische Ländereien, die auf das Imperium des 18. Jahrhunderts zurückgehen. Putin will dieses Konzept wiederbeleben, „die Russen vor der Tyrannei einer pro-westlichen Regierung in Kiew retten“, wie er es sieht. Mariupol steht ihm derzeit im Weg, dieses Ziel zu erreichen.

Auch für die Ukraine wäre der Verlust von Mariupol ein schwerer Schlag – militärisch, wirtschaftlich, aber auch moralisch. Mariupol hat immerhin erbitterten Widerstand geleistet, doch jetzt liegt sie weitgehend in Trümmern. Mariupol wird neben Grosny und Aleppo in die Geschichte eingehen – alles Städte, die Russland in Schutt und Asche gelegt hat. Die Botschaft an andere ukrainische Städte ist deutlich: Wer sich für den Widerstand entscheidet, kann dasselbe Schicksal erwarten wie Mariupol. (cs) *fr.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

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