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„Riskante Entwicklungen“: Drei Themen spalten Deutschland besonders

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Von: Cindy Boden

Menschen stehen hinter einer Deutschlandfahne (Archivbild)
Politische Polarisierung in Deutschland: Was hat sich in den letzten Jahren verändert? (Archivfoto) © Maja Hitij/dpa

Über viele Jahre hinweg hat die politische Polarisierung in Deutschland zugenommen. Die Corona-Pandemie scheint die Spaltung jedoch nicht verstärkt zu haben. Aber nicht alle suchen Kompromisse.

Berlin – Politische Polarisierung verschreckt. Die Spaltung in Lager kann eine friedliche Gesellschaft und die Demokratie gefährden. Zwar heißt es beispielsweise in Wahlkämpfen, Parteien müssten polarisieren, doch dann geht es vor allem darum, Unterschiede und Gegensätze aufzuzeigen. Geht es um die tiefe Polarisierung der Gesellschaft, werden viel eher die USA als Beispiel herangezogen. Dort ist das Misstrauen und die Ablehnung gegenüber der Gegenseite hoch, die Rhetorik scharf.

Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung untersucht politische Polarisierung in Deutschland

Auch in Deutschland mehren sich Debatten über den Zustand des Landes. Wie stark ist die deutsche Gesellschaft politisch polarisiert? Was hat sich in den letzten Jahren – auch durch die Corona-Pandemie – verändert? Diesen Fragen ist die Konrad-Adenauer-Stiftung in einer repräsentativen Studie mit dem Titel „Politische Polarisierung in Deutschland“ nachgegangen, die Ende November 2021 veröffentlicht wurde.

Das Ergebnis der Studie der CDU-nahen* Stiftung ist dabei selbst gespalten. Hinweise auf eine tiefe Spaltung zwischen großen Teilen der Gesellschaft finden sich laut Angaben der Autoren nicht. Bei den politischen Ansichten vertrete eine Mehrheit eher Mittelpositionen. Klare Lager bei den Parteianhängerschaften gibt es laut dem Autor Jochen Roose, Wahl- und Sozialforscher, nicht – vielmehr einige politische Überschneidungen. Die Offenheit gegenüber Menschen mit anderen politischen Ansichten sei da, auch eine Kompromissbereitschaft stelle er fest. Eine große Mehrheit lehnt die Polarisierung sogar ab. All das spricht für eine geringe Polarisierung in Deutschland.

Nicht alle sind kompromissbereit: „Ungleich große Teile der Gesellschaft stehen sich gegenüber“

Doch noch etwas anderes betonten die Studienmacher. „Das Meinungsspektrum und die Meinungsunterschiede zwischen den Parteianhängerinnen und Parteianhängern haben sich in den letzten Jahren in einer Weise auseinanderbewegt, wie es das lange Zeit nicht gab“, heißt es in der Studie. Nicht alle seien am politischen Diskurs beteiligt oder seien offen für Kompromisse. Ein Teil des Meinungs- und Parteienspektrums sei ausgeschlossen und schließe sich selbst aus, heißt es in der Studie weiter. Damit zeige sich zumindest eine Polarisierungstendenz. „Sie bewegt sich auf einem anderen Niveau, als dies beispielsweise für die USA* gilt, doch auch in Deutschland stehen sich Teile der Gesellschaft, sehr ungleich große Teile, aus politischen Gründen gegenüber, vielleicht nicht unversöhnlich – aber vielleicht schon“, hält Roose fest.

Hinweise zur Analyse

Die Studie der Konrad-Adenauer Stiftung bezieht sich auf zwei repräsentative, telefonische Umfragen und 68 leitfadengestützte, qualitative Tiefeninterviews sowie 24 Gruppendiskussionen. Zum einen wurden für die Umfragen von Oktober 2019 bis Februar 2020 insgesamt 3250 Personen befragt. Veränderungen durch die Corona-Pandemie sollten festgestellt werden, indem von August bis September 2020 noch einmal 1521 Personen telefonisch kontaktiert wurden. Die Umfragen führte das Umfrageinstitut Infratest dimap durch, die qualitativen Interviews Mauss Research. Außerdem wertete die Stiftung weitere repräsentative Umfragen aus.

Zwar vertrete eine Mehrheit wie erwähnt weiter Mittelpositionen. Doch Randpositionen, vor allem linke Positionen, hätten in den vergangenen Jahren zugenommen. Inhaltlich würden sich große Teile der Anhängerschaften von Grünen* und Linken* auf der einen Seite und die AfD auf der anderen Seite an den Rändern gegenüberstehen. Deutliche Unterschiede gebe es etwa bei der Sozial-, Klima- und Migrationspolitik sowie der Einstellung zur Rolle von Frauen. Anhänger von AfD* und Linken seien etwas weniger bereit, Kompromisse einzugehen, so die Studienautoren.

Studie zu politischer Polarisierung: Arm/Reich, Migrationspolitik und Klimaschutz führen zu Diskussionen

Die genannten Themen Migrationspolitik und Klimaschutz, ergänzt durch den Gegensatz Arm und Reich, führen nach Aussage der Befragten häufig zu Reibungen und verstärken Polarisierung. Kontakte zu Familie oder Freunden aufgrund politischer Meinungsverschiedenheiten abzubrechen, scheint dennoch selten. Nur 13 Prozent stimmen der Aussage „Zu bestimmten Menschen habe ich den Kontakt wegen ihrer politischen Ansichten abgebrochen“ laut Studie voll und ganz oder eher zu. Anhänger der Linken, der Grünen und der SPD ziehen die Reißleine eher.

Interessant: Dieser allgemeine Anteil hat sich in der Corona-Pandemie* nicht verändert. Insgesamt heißt es in der Studie, die Corona-Pandemie scheint die Polarisierung nicht verstärkt zu haben. Die wahrgenommene Polarisierung habe sogar abgenommen. Die Zustimmung zur Aussage „In unserer heutigen Gesellschaft stehen sich die Menschen unversöhnlich gegenüber“ ging von 41 Prozent (stimme voll und ganz oder eher zu) vor der Pandemie-Zeit auf 31 Prozent während der Pandemie zurück. Dem gegenüber steht, dass das Verhalten vieler Menschen als rücksichtslos empfunden wird. „Direkt gefragt, können viele eine Zunahme an gesellschaftlichem Zusammenhalt nicht erkennen“, heißt es außerdem.

Polarisierungstendenzen sind immer riskante Entwicklungen.

Jochen Roose, Wahl- und Sozialforschung bei der Konrad-Adenauer-Stiftung

Noch ist also mehr von einem Trend die Rede. Doch der Autor weist darauf hin, dass auch in anderen Ländern Polarisierungen klein angefangen hätten. Aber: Schon früher gab es hierzulande ähnliche Einstufungen und Abschottung der Lager. In Deutschland ist weiterhin eine starke Kompromissbereitschaft verankert, das Verhältniswahlrecht wirkt ausgleichender, der Sozialstaat federt einiges ab. Auch wenn für die Interpretation diese Einordnungen zu bedenken sind und der politische Wettbewerb immer auf Unterschiede drängt, waren anderswo Polarisierungen irgendwann nicht mehr aufzuhalten. „Polarisierungstendenzen sind deshalb immer riskante Entwicklungen“, so Roose. (cibo) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

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