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Notfallversorgung am Limit: „Rettungswagen können wegen fehlendem Personal nicht mehr besetzt werden“

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Von: Inga Schönfeldt

Luis Teichmann arbeitet als Rettungssanitäter in Köln und kritisiert die Notfallversorgung in Deutschland. Im Interview erzählt er von seinem Arbeitsalltag und was für Reformen nötig sind.

Warten, warten, warten - wer in Deutschland medizinische Hilfe benötigt, muss oft viel Geduld beweisen. Derzeit sind durch das RS-Virus viele Kinderkliniken am Limit. Aber nicht nur sie sind überlastet. Auch die medizinische Versorgung außerhalb von Kliniken und Fachärzten kann oft dem Bedarf nicht gerecht werden.

In Berlin kommt es immer wieder vor, dass über Stunden keine Rettungswagen verfügbar ist, wie verschiedene Hauptstadtmedien berichten. Die Menschen müssen dort deutlich länger auf den Rettungsdienst warten als die vorgeschriebenen zehn Minuten. Für die Überlastung gibt es mehrere Gründe: Seit Jahren steigt die Zahl der Einsätze, gleichzeitig fehlt das Fachpersonal. 

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Nur in wenigen Fällen wird der Rettungsdienst zu lebensbedrohlichen Notfällen gerufen. © Benjamin Nolte/dpa-tmn

Luis Teichmann ist seit mehreren Jahren als Rettungssanitäter in Köln tätig und gibt in den sozialen Medien einen Einblick in seinen Arbeitsalltag. Im Interview mit Ippen.Media erzählt er, dass die Branche für viele Arbeitnehmer nicht attraktiv sei. „Der Rettungsdienst ist eigentlich ein sehr altes Konstrukt.“ Die Idee komme aus den 80er-Jahren und habe sich nie den modernen Ansprüchen angepasst. Work-Life-Balance sei im Rettungsdienst meist ein Fremdwort. „Man ist immer noch in diesem klassischen 12-Stunden, 24-Stunden-Schichtsystem vielerorts“, sagt Teichmann.

Immer mehr Menschen rufen die 112 an 

Gleichzeitig seien die Ansprüche der Patienten gestiegen, erklärt der 26-Jährige. Viele Menschen erwarten heute rund um die Uhr eine Abklärung aller medizinischen Belange - auch wenn es eher Bagatellen statt lebensbedrohlichen Erkrankungen sind. Dem sei der Rettungsdienst nicht gewachsen und eigentlich auch nicht für zuständig. „Im Prinzip kennt der Rettungsdienst immer nur eine Antwort: Wir schicken einen Rettungswagen mit Sonder- und Wegerechten, also mit Blaulicht.“

Rund 777.000 Einsätze verzeichneten zum Beispiel die Johanniter im vergangenen Jahr - 37.000 mehr als 2020. Auch beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK) steigen seit Jahren die Einsatzzahlen. Das BRK rückte 2014 noch zu 175.000 Notfällen aus, 2021 waren es stolze 231.000. Dabei könnten in vielen Fällen auch der Hausarzt helfen. Doch die Termine bei niedergelassenen Ärzten sind heiß begehrt. Besonders in ländlichen Regionen herrscht ein Hausarztmangel.

Bevölkerung wird immer älter

Ein weiterer Faktor für mehr Rettungseinsätze: Der ärztliche Bereitschaftsdienst unter der Nummer 116117 ist laut der Tagesschau nicht immer erreichbar. Dabei ist die Hotline eigentlich dafür da ist, dem Rettungsdienst Arbeit abzunehmen, wenn kein lebensbedrohlicher Notfall vorliegt. In vielen Fällen wissen sich die Menschen nicht anders zu helfen und wählen dann eben den Notruf. 

Rettungswagen können aufgrund von fehlendem Personal nicht besetzt werden.

Luis Teichmann

Darüber hinaus wird die Gesellschaft immer älter. Im Alter steigt jedoch auch das Risiko für Krankheiten. Laut der Kassenärztlichen Bundesvereinigung waren im Jahr 2019 in Deutschland rund 4,1 Millionen Menschen pflegebedürftig. Das sind rund 700.000 mehr als 2017. Viele Menschen haben aber keine Angehörigen, die sich regelmäßig um sie kümmern und sie im Alltag unterstützen. Wenn sie dann zu Hause stürzen, muss oft der Rettungsdienst anrücken, um ihnen aufzuhelfen.

Auch 2022 ändert sich wieder einiges bei der Rente.
Viele ältere Menschen leben allein und können sich irgendwann nicht mehr selbst versorgen. © Abraham Gonzalez via www.imago-images.de

Auch die Zahl der chronisch kranken Menschen steigt. Die Barmer-Versicherung verzeichnet zum Beispiel eine deutliche Zunahme an Diabetes-Erkrankten. Bundesweit litten 2022 rund 7,2 Millionen Menschen an Diabetes mellitus Typ 2. Im Vergleich zum Jahr 2011 ist das ein Anstieg um etwa 18 Prozent.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat vor Kurzem eine große Reform für die Krankenhäuser angekündigt. Der Politiker verspricht den Patienten eine bessere und zielgerichtete Versorgung und den Krankenhäusern weniger finanziellen Druck. Die Ampelkoalition strebt eine Reform der Notfallversorgung an, wie es auch schon die letzte Regierung tat - bislang noch ohne Ergebnis.

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