Bundeswehr-General: „Die Ukrainer wissen, wofür sie kämpfen“

Was passiert im Ukraine-Krieg aus militärtaktischer Sicht? Ein Panzer-General erklärt, warum die russischen Truppen trotz Überlegenheit schleppend vorwärtskommen.
Köln – Seit Wochen ist Krieg in der Ukraine. Aktuell steht das Massaker in der ukrainischen Stadt Butscha bei Kiew im Zentrum des Interesses. Hinter den erschreckenden Bildern und Geschichten aus dem Krieg steht auch die Frage: Was passiert aus militärtaktischer Sicht eigentlich in diesem Krieg?
Dieser Frage hat sich nun die Bundeswehr auf YouTube gewidmet. In der Serie „Nachgefragt“ erklärt Panzer-General Christian Freuding die Militärtaktik im Ukraine-Krieg. Freuding ist Kommandeur der Panzerlehrbrigade 9 und Leiter des Lagezentrums Ukraine im Verteidigungsministerium.

Bundeswehr-General Christian Freuding erklärt, was im Ukraine-Krieg entscheidend ist
Die Frage nach der Militärtaktik ist auch deshalb so spannend, weil sich am Frontverlauf in der Ukraine momentan nicht viel ändert. „Es gibt wenig Raumgewinn und Raumverlust auf beiden Seiten“, erklärt Freuding. „Das Momentum der russischen Streitkräfte ist verloren gegangen.“ Vielfach stecken die Truppen von Wladimir Putin fest und kommen nicht weiter. Zu Beginn erklärt der Interviewer, Bundeswehr-Videojournalist Hannes Lembke, dass er in seiner Ausbildung gelernt habe, ein Panzergefecht sollte „schnell und dynamisch“ erfolgen. Freuding nennt weitere Faktoren, die darüber entscheiden, ob ein Panzergefecht erfolgreich ist.
Dabei gehe es vor allem darum, wie die Kräfteverhältnisse aussehen. Denn: „Es bedarf eines bestimmten Kräfteverhältnisses für einen erfolgreichen Einsatz“, erklärt Freuding. „In Deutschland gehen wir von einem Kräfteverhältnis von 1 zu 3 aus.“ Damit meint er, dass es eine dreifache russische Überlegenheit für einen Sieg braucht. Die ukrainische Armee habe wiederum die Möglichkeit, das Gefecht zu verzögern, um so die russische Armee langfristig abzunutzen. In diesem Falle müssten Putins Truppen zahlenmäßig sogar vier- bis sechsmal so stark unterwegs sein. „Bei Orts- und Häuserkampf sogar 1 zu 8 bis 1 zu 10“, ergänzt Freuding.
Bundeswehr-General: Nicht überraschend, dass Angriff in der Ukraine zum Erliegen gekommen ist
Angewendet auf den Ukraine-Krieg zeigen diese theoretischen Zahlen, warum der russische Angriff in der Praxis schleppend verläuft – die zahlenmäßige Überlegenheit ist nicht groß genug. Es überrascht Freuding daher nicht, dass der Angriff zum Erliegen gekommen ist.
Dazu führt der Brigadegeneral weitere Gründe an, warum die Russen keine entscheidende Raumgewinne erzielen, die nichts mit dem Kräfteverhältnis zu tun haben.
- Schlechte Kommunikation
- Ungenügende Planung
- Ungenügende Abstimmung
- Die logistische Kette funktioniert nicht, es fehlt der Nachschub
Ukraine-Krieg: In der ukrainischen Armee kämpft auch die Zivilbevölkerung
Dazu kommt: Die realen Kräfteverhältnisse sind nicht so klar zugunsten von Russland, weil in der Ukraine auch nicht reguläre Streitkräfte kämpfen. Außerdem reicht es nicht, nur Zahlen miteinander zu vergleichen. Entscheidend sei auch der sogenannte „Einsatzwertvergleich“. Er gibt an, was in einem Gefecht tatsächlich erreicht werden kann und werde determiniert von:
- der zur Verfügung stehenden Ausrüstung
- dem Ausbildungsstand der Truppe
- der Kenntnis des Geländes
- der Moral der Truppe
Krieg in der Ukraine: Warum Ukrainer trotz Unterlegenheit einen Vorteil haben
Besonders den letzten Punkt unterstreicht Freuding ausdrücklich: „Die Ukrainer wissen, wofür sie kämpfen.“ Damit sei der Einsatzwert der Ukrainer vergleichsweise hoch einzuschätzen, da sie auch das Gelände bestens kennen. Dazu genießt die Ukraine international eine überragende Solidarität: „Die Russen haben die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft unterschätzt. Vor Fußball-Länderspielen werden ukrainische Fahnen ausgerollt – das macht etwas mit den russischen und ukrainischen Soldaten.“ Wenn Panzer auf deutschen Autobahnen in Richtung Osten unterwegs sind, zeigt auch das: Die internationale Hilfsbereitschaft ist hoch.
Ukraine-Krieg: Wie zeitgemäß ist ein Krieg mit Panzern?
Gegen Ende des Interviews geht es noch um die Frage, inwiefern angesichts der Bilder von zerstörten Panzern und Ukrainern, die sich mit schultergestützten Waffen gegen Panzer verteidigen, ein Krieg mit Panzern überhaupt noch zeitgemäß ist. Freuding betont: „Panzer sind das Rückgrat der Landstreitkräfte. Sie leben von ihrer Durchsetzungsfähigkeit, von ihrer Feuerkraft, von ihrer Präzision, von ihrer Geländefähigkeit und von ihrer Schnelligkeit. Panzer können bei Tag und bei Nacht in jedem Gelände kämpfen.“ Nicht zu unterschätzen sei auch der psychologische Effekt: „Wenn ein Panzerbataillon angreift, bebt der Boden.“ (mm) Mehr News auf der 24RHEIN-Homepage. Tipp: Täglich informiert, was in Köln und NRW passiert – einfach unseren kostenlosen 24RHEIN-Newsletter abonnieren.