Katars „skandalöse“ WM-Vergabe: Stimmenkauf, Korruption – und ein Freund des Emirs mittendrin

Die WM-Vergabe nach Katar war unsauber: Wahlmänner wurden angeklagt, Korruption offengelegt. Mittendrin: Mohammed bin Hammam, der die WM in die Wüste brachte.
Doha – Bis zu 50 Grad im Sommer, so gut wie keine Fußballkultur und ein autokratisch regierter Staat, der sich regelmäßig Vorwürfen der Menschenrechtsverletzung konfrontiert sieht: Auf den ersten Blick gibt es wenige Argumente für eine Fußballweltmeisterschaft in Katar. Der Wüstenstaat selbst argumentiert gerne, man habe schlicht die beste Bewerbung beim Weltverband Fifa eingereicht. Tatsächlich hat Katar den Zuspruch aber auch Fifa-Klüngeleien und Absprachen zu verdanken.
Maßgeblich dafür verantwortlich: Mohamed bin Hammam, langjähriger Chef des Asienverbands und Mitglied im Fifa-Exekutivkomitee. Er gilt als der Mann, der die WM nach Katar brachte. Auch durch Stimmabsprachen und Schmiergeldzahlungen? Der frühere DFL-Chef Andreas Rettig bezeichnet die WM-Vergabe im Gespräch mit Merkur.de von IPPEN.MEDIA als „skandalös“. Er gilt als Kenner der Branche und beschäftigt sich intensiv mit dem Zustandekommen von Weltmeisterschafts-Vergaben. Bei dem Vergabeprozess habe bin Hammam eine „Schlüsselrolle“ gespielt, meint Rettig.
WM 2022: Fifa-Exekutivkomitee für Vergabe verantwortlich - hat Katar geschmiert?
Katar konnte den Zuschlag allem Anschein nach auch dank des korruptionsanfälligen, mittlerweile ad acta gelegten WM-Vergabeprozesses bekommen. 2010 entschied die Fifa über den WM-Austragungsort 2022. 24 Wahlmänner, Mitglieder des Exekutivkomitees, sollten damals über den Austragungsort entscheiden. Letztlich waren es nur 22, weil die Delegierten aus Nigeria und Tahiti schon im Vorfeld beim versuchten Stimmenverkauf erwischt worden waren.
Das Gros der übrigen illustren Runde, von Deutschland bis hin zu Trinidad und Tobago, sollte sich erst später mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert sehen. Dietrich Schulze-Marmeling und Bernd Beyer nannten in ihrem Buch „Boykottiert Katar 2022“ das Exekutivkomitee eine „kriminelle Vereinigung“. Mittlerweile entscheiden übrigens nicht mehr nur zwei Dutzend, sondern alle Fifa-Mitgliedsstaaten.
Erstmals in ihrer Geschichte vergab die Fifa vor zwölf Jahren zwei Endrunden gleichzeitig; auch Russland erhielt 2010 den Zuschlag für die WM 2018. Ein Einfallstor für Absprachen. „Dadurch wurde die Wahl Katars begünstigt“, sagt Rettig. Zur Wahl standen folgende Austragungsorte:
- 2018: Russland, England, Niederlande/Belgien, Spanien/Portugal
- 2022: Katar, USA, Japan, Australien, Südkorea
WM in Katar: „Wie haben die superreichen Ölscheichs die korrupten Fifa-Funktionäre überzeugt?“
Das Wahlprozedere dabei: Bis ein Land die absolute Mehrheit an Stimmen erreicht, scheidet jeweils ein Bewerber aus. Letztlich setzte sich Katar mit 14:8 gegen die USA durch. Einige der 14 Stimmen der eigentlich geheimen Abstimmung lassen sich entsprechenden Wahlmännern zuordnen. Sei es durch Recherchen von Journalisten oder persönliche Aussagen. Thomas Kistner, Autor des Buchs „Fifa Mafia“, fragt: „Wie haben die superreichen Ölscheichs wohl die korrupten Funktionäre der Fifa überzeugt?“ Eine rhetorische Frage.
Brisant: Gegen die Mehrheit der Delegierten gibt es Korruptionsvorwürfe. „Schon fünf Jahre nach der Vergabe war die Hälfte der Wahlmänner gesperrt und es wurden auch strafrechtliche Ermittlungen in Gang gesetzt“, erklärt Rettig. Offiziell verurteilt werden nur wenige, was Kritiker aber auch mäßigem Aufklärungswillen der Fifa zuschreiben. Der Fußball-Weltverband dementiert Bestechungsvorwürfe ebenso wie der katarische Verband.

WM 2022: Wie sich Katars bin Hammam Stimmen erkauft haben soll
Laut US-Staatsanwaltschaft sind mindestens vier Delegierte mit direkten Zahlungen bestochen worden. Der Direktor der US-Steuerfahndung sprach mit Blick auf Katar von einer „Weltmeisterschaft der Korruption“. Fallen die Begriffe Korruption und Fifa ist ein Name nicht weit: Jack Warner, einstiger Fifa-Vize und Delegierter aus Trinidad und Tobago. Das FBI ermittelte gegen ihn, Warner wurde wegen Korruption in insgesamt acht Fällen verurteilt. Auch bei vorherigen WM-Vergaben hatte er laut US-Anklage seine Stimme verkauft. Laut dem britischen Daily Telegraph hat er 1,5 Millionen Euro von Katar für seine WM-Stimme erhalten.
Ein Zeuge sagte vor einem US-Gericht zudem unter Eid aus, dass Südamerikas mittlerweile verstorbener Fußballchef Nicolás Leoz (Paraguay) eine Million Dollar bekommen haben soll. Er und die beiden anderen Südamerika-Vertreter Ricardo Teixeira (Brasilien) und Julio Grondona (Argentinien, ebenfalls verstorben) haben laut Anklageschrift der US-Justiz von 2020 ihre Stimme verkauft. Der langwierige Prozess dauert an.
Die britische Sunday Times berichtete unter Verweis auf geheime Dokumente, bin Hammam habe insgesamt fünf Millionen Dollar an Delegierte gezahlt. Laut der Zeitung sollen je 1,5 Millionen Dollar an Jacques Anouma (Elfenbeinküste) und Issa Hayatou (Kamerun) gegangen sein. Andere Stimmen könnte sich Katar verschleiert gesichert haben.
Zwei Beispiele: Das Rohstoffunternehmen Petrolina von Zyperns Exko-Mitglied Mario Lefkaritis zählt zu den wichtigsten Partnern Katars. Rund um die WM-Vergabe wurden die Geschäfte intensiviert. Kurz nach Michel Platinis Frankreich-Stimme für Katar stieg sein Sohn zum Europachef der Qatar Sports Investments auf, dem Eigentümer von Paris Saint-Germain. Ein weiteres Beispiel für die engen katarisch-französischen Beziehungen. „Katar hat aufgrund höchster politischer Interventionen von französischer Seite gewonnen. Das weiß man, das ist bewiesen“, sagt der damalige Fifa-Präsident Sepp Blatter – der auch von deutscher Einflussnahme spricht.
Die Herren Nicolas Sarkozy und Christian Wulff haben versucht, ihre Wahlmänner zu beeinflussen. Deswegen haben wir jetzt eine WM in Katar.
Bin Hammam und das gekaufte Sommermärchen: „Ein Schelm, wer Böses dabei denkt“
Bei aller berechtigten Kritik an korrupten Vergabeprozessen der Fifa steht aber auch Deutschland selbst in der Kritik. Denn auch die WM 2006 war allem Anschein nach „erhandelt“. Unter anderem mit einer Stimme von Mohamed bin Hammam? „Schaut man sich die Historie zur Vergabe der WM 2006 an, könnte man meinen, es hätte einen Deal zwischen Europa und Asien gegeben“, meint Rettig. Bin Hammam sei „mittendrin“ und „sehr stark engagiert“ gewesen.
Denn Deutschland brauchte für den Zuschlag die vier Stimmen des Asienverbands, um sich gegen Konkurrent Südafrika durchzusetzen, wie Rettig erklärt. „Umgekehrt brauchte Katar 2010 die Stimmen Europas gegen die USA.“ Auch hier sei „der enge Vertraute des Emirs“, wie Rettig bin Hammam nennt, involviert gewesen. „Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.“
WM-Vergabe nach Deutschland: Katar, Beckenbauer - und 10 Millionen Franken
Geht es um das Sommermärchen, geistert stets die Summe von 6,7 Millionen Euro (damals zehn Millionen Schweizer Franken) durch den Raum. Franz Beckenbauer, der Chef des deutschen WM-Organisationskomitees, soll sich die Summe von Ex-Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus geliehen haben. Die Millionen landeten anschließend auf dem Konto bin Hammams, damals das katarische Mitglied im Exekutivkomitee. Dass Geld geflossen ist, ist bewiesen. Wofür, ist jedoch unklar. Die Beteiligten schweigen und werden von der Fifa auch nicht wirklich dazu befragt.
Beckenbauer sagt, um die WM-Vergabe nach Deutschland habe es keine Korruption gegeben. 2018 gab bin Hammam schließlich zu, die Summe aus Deutschland erhalten zu haben. Er besteht aber darauf, dass mit dem Geld keine Stimme gekauft wurde.
Dass bin Hammam bei den WM-Vergabeprozessen der Turniere 2006 und 2022 eine Schlüsselrolle eingenommen habe, werfe „kein gutes Licht auf ihn“, meint Rettig und scherzt: „Ich würde ihn nicht unbedingt für den Vorsitz der Fifa-Ethikkommission vorschlagen.“
Inside Katar
Dieser Text ist Teil der Reihe „Inside Katar“. Bis zur Fußball-WM im Winter wollen wir Ihnen regelmäßig Hintergrundberichte über die (sport)politische Lage in Katar geben – und dabei unterschiedliche Themenfelder betrachten. Falls Sie Anregungen, Themenvorschläge oder Kritik haben, melden Sie sich gerne unter andreas.schmid@redaktion.ippen.media.
Mohammed bin Hammam: Katari soll „Bruder“ Blatter „auf dem Thron gehalten“ haben
Bin Hammam soll auch schon vorher mit einer locker sitzenden Brieftasche aufgefallen sein. Er war hauptverantwortlich dafür, dass Sepp Blatter seine Macht als Fifa-Präsident sichern konnte, schreibt Autor Kistner. Ohne den katarischen „Bruder“, wie Blatter bin Hammam demnach nennt, wäre der Fifa-Chef schon deutlich früher gestürzt worden. Den Chef des Weltfußballs wählen die jeweiligen Verbandschefs. Stimmenabsprache gehört zum guten Ton.
Der britische Sportjournalist Andrew Jennings sagt über bin Hammam, er habe „zwölf Jahre lang das Geld zur Verfügung gestellt, um Stimmen zu kaufen, die Blatter auf dem Präsidententhron hielten“. Warum? Vermutlich um seine Macht im Weltverband zu festigen – und den Weg in Richtung Katar 2022 zu ebnen. Das WM-Organisationskomitee Katars beteuerte übrigens regelmäßig, bin Hammam habe bei all den Vorwürfen isoliert gehandelt. Er sei nicht in die Vergabe involviert gewesen und Katar habe „die höchsten Standards von Ethik und Integrität“ eingehalten, meinte Emir Tamim bin Hamad Al Thani schon 2014.

Mohammed bin Hammam: Der Mann, der die WM nach Katar brachte
Wer zahlt, schafft an. Dieses Credo gilt für viele katarische Geschäftsleute – und zieht sich auch durch das Leben des Mohammed bin Hammam. 1949 wird er als Sohn eines Unternehmers und einer Krankenschwester in Doha geboren. Ihm und seinen zehn Geschwistern geht es vergleichsweise gut. Auch, wenn Katar zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Bodenschätze an Erdgas und Erdöl entdeckt hat und erst ab den 1970ern zum Hochglanzstaat emporstieg. Noch vor seinem 25. Geburtstag gründete bin Hammam ein eigenes Unternehmen – den Baukonzern Kemco, über den er später Schmiergeldzahlungen verschleiert haben soll. Kemco und bin Hammam äußerten sich auf Merkur.de-Anfrage nicht zu den Vorwürfen.
Der Sport und besonders der Fußball spielten eine große Rolle in bin Hammams Leben. Er war 15 Jahre lang Präsident des katarischen Erstligisten Al-Rayyan SC. Unter seiner Regie gab es mehrere Meistertitel, wodurch das Kluboberhaupt sein Profil schärfte. Bin Hammam war auch Chef des katarischen Volleyball- und Tischtennisverbands. 1992 stieg er zum Präsidenten des Fußballverbands auf. Ein damals noch völlig unbedeutender Verband, der bei den Asienmeisterschaften regelmäßig in der Vorrunde scheiterte und von einer WM-Qualifikation meilenweit entfernt war. Bin Hammam, ein Freund des katarischen Emirs Al Thani, wollte das ändern. Und wenn sich Katar auf sportlichem Weg nicht für die Endrunde qualifizieren konnte, dann eben durch den Austragungsort: Der WM-Gastgeber ist gesetzt.
Konsequenzen hatten die mutmaßlichen Schmiergeldzahlungen lange keine. „Das zeigt, welch einflussreiche Partner er in seinem Umfeld hat“, meint Rettig. Erst 2012 als die WM in Katar schon beschlossene Sache war, sperrte die Fifa bin Hammam wegen Korruption lebenslang. Er soll karibische Funktionäre mit der für katarische Verhältnisse lächerlich anmutenden Summe von 40.000 Dollar bestochen haben. Bin Hammam trat daraufhin von allen Ämtern zurück. Er hatte seine Aufgabe ohnehin erfüllt. (as)