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Mirijam Trunk ärgert der Begriff „alte weiße Männer“ – „macht Fronten auf“

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Von: Claudia Hessel

Mirijam Trunk , Autorin und Chief Cross Media bei RTL, in einem gelben Kleid
Mirijam Trunk, Chief Cross Media bei RTL Deutschland und Autorin des Buches „Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte“. © RTL Deutschland

Die Autorin Mirijam Trunk sieht noch viel Nachholbedarf in der Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern. Doch vom Begriff „alte weiße Männer“ hält sie wenig.

Köln – Lassen Sie mal in einer Gesprächsrunde die Begriffe alte weiße Männer, Feminismus und Quote fallen – sofort ist eine aufgeregte Debatte im Gange. Liegt es daran, dass wir eine Zeit von großen gesellschaftlichen Umbrüchen erleben? Wenn die klassische Rolle von Mann und Frau hinterfragt und das traditionelle Konzept Familie gekippt wird oder sogar die Zuschreibungen von Geschlechtern zur Diskussion stehen? Auch unser Verhältnis zur Arbeit wandelt sich extrem. So stellt die Elterngeneration erstaunt fest, dass ein Teil der Generation Z - also jene, die um die Jahrtausendwende geboren wurden - sich nicht im Job abrackern will.

Unternehmen klagen, dass junge Leute schon vor Beginn des ersten Praktikums nach dem Urlaubsanspruch fragen.

Sie machen Feierabend - egal, was im Betrieb gerade noch los ist.

Herzblut, Leidenschaft, Brennen für den Job – das vermissen die Älteren.

Softe Faktoren wie Work-Life-Balance, sinnstiftende Arbeit und Chancengleichheit sind die neuen Themen der Berufswelt.

Es gibt keine Chancengleichheit in Deutschland

Mit Chancengleichheit für berufstätige Frauen hat sich die Autorin und Journalistin Mirijam Trunk beschäftigt. Sie ist mit 31 Jahren bereits auf der obersten Managementebene des Senders RTL in Köln angekommen und zählt zu den jüngsten Führungskräften Deutschlands. Ihr erstes Buch, „Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte“, ist gerade erschienen und direkt auf der Spiegel-Bestsellerliste gelandet.

Das Buch beginnt mit einer schlechten Nachricht: Es gibt keine Chancengleichheit in Deutschland. Auch im Januar 2023 sind laut Statistischem Bundesamt immer noch rund 70 Prozent der deutschen Führungskräfte Männer. Nur jede 3. Führungskraft ist eine Frau. Grundsätzlich sieht es für Frauen düster aus:  Ein Drittel von ihnen landet wegen der Teilzeitfalle in der Altersarmut. Oder sie geraten, wie die Hälfte aller verheirateten Frauen, in finanzielle Abhängigkeit von ihrem Mann.

„Eine Arbeitswelt, die von Männern für Männern gemacht wurde“

„Die Welt, in der wir gerade leben, ist immer noch eine Arbeitswelt, die von Männern für Männern gemacht wurde. Die schlechte Vereinbarkeit von Kindererziehung und Beruf ist eine große Hürde, die Frauen auf ihrem Weg durch das Berufsleben bremst. In Deutschland tragen Frauen deutlich weniger zum Familieneinkommen bei als in den meisten anderen Ländern“, stellt Mirijam Trunk im Gespräch mit mir fest. Aber auch in den Unternehmen selbst gibt es festgefahrene Strukturen: „In deutschen Vorständen herrscht immer noch das Prinzip der Homosozietät: Gleich und gleich gesellt sich gern, man ist gerne unter sich. Mit einer Minderheit, die unter 30 Prozent vertreten ist – und dazu zählen Frauen nun mal – ändert sich eine Kultur nicht.“

Und Führungsposition ist nicht gleich Führungsposition, konstatiert Trunk. „Schaut man sich die Bereiche an, für die Frauen in den Vorständen der 169 börsennotierten deutschen Unternehmen bisher verantwortlich sind, drängt sich der Gedanke auf, dass es so etwas wie Frauenzonen in Unternehmen gibt.“ Von 86 Frauen, die 2021 in einem Vorstand waren, unter insgesamt 734 Vorstandsposten, waren 24 Finanz- und 22 Personalvorstand. „Frauen landen oft in diesen Stabsfunktionen. Das Kerngeschäft bleibt Männersache. Frauen dürfen zwar auf dem Vorstandsschiff mitfahren, aber nur selten auf der Brücke stehen.“

Mirijam Trunk ist aktuell „Chief Cross Media Officer“ bei RTL Deutschland. Sie wurde 1991 in Bamberg geboren, studierte Psychologie, Kommunikationswissenschaft und Politik. Ihre journalistische Karriere begann sie mit einer Ausbildung an der renommierten „Deutschen Journalistenschule“ in München und als Reporterin beim öffentlich-rechtlichen Bayerischen Rundfunk.

Mit 27 Jahren wurde Mirijam Trunk 2019 Geschäftsführerin der Audio Alliance beim RTL-Mutterkonzern Bertelsmann, bevor sie 2022 in die RTL-Führung wechselte: Hier leitet Mirijam Trunk zusätzlich den Bereich Nachhaltigkeit und „Diversity, Equity & Inclusion“. Ihr Buch „Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte“ ist bei Penguin erschienen.

24RHEIN-Gastautorin Claudia Hessel ist Chefmoderatorin von RTL West – und eingefleischte Kölnerin. Die TV- Journalistin leitet als Vorstandsvorsitzende das Kölner Forum für Kultur im Dialog und ist ehrenamtlich im Kölner Presseclub aktiv. Dieser Beitrag stammt aus dem Newsletter des „Kölner Presseclub“, den Sie hier abonnieren können

Mirijam Trunk: „Der Begriff Feminismus hat ein Imageproblem“

Ihre eigenen Erfahrungen untermauert Mirijam Trunk mit Berichten anderer Führungsfrauen aus Wirtschaft, Politik und Kultur. Sie selbst bezeichnet sich als Feministin, sieht aber die aktuelle Entwicklung kritisch: „Der Begriff Feminismus hat ein Imageproblem. Viele denken, er richte sich gegen Männer, hätte etwas Militantes, sei eine Art der Verbotskultur. Moderner Feminismus steht für Intersektionalität und Chancengleichheit und schaut auf Strukturen.“

Sind „alte weiße Männer“ der Grund, warum Frauen auf dem Weg nach oben ausgebremst werden – oder werden sie selbst benachteiligt? „Ich sehe nicht, dass Männer diskriminiert werden, das geben die Zahlen einfach nicht her“, sagt Mirijam Trunk, „aber den Begriff „alte weiße Männer“ lehne ich ab, denn er ist altersdiskriminierend. Grundsätzlich sind Männer für mich absolut kein Feindbild. Denn auch immer mehr Männer wehren sich gegen stereotype Denkmuster und gegen systemische Hürden. Der Begriff „alte weiße Männer macht Fronten auf, statt in eine konstruktive Richtung zu lenken. Chancengleichheit erfordert eine breite Gesellschaftsdebatte. Selbst Väter von Töchtern spüren diese Ungerechtigkeit und somit wird es auch zu einem Väterproblem.“

Insgesamt war es ein vielschichtiges Gespräch mit meiner RTL-Kollegin, die vieles und vor allem Strukturen in Frage stellt. Typisch für ihre Generation Y. Englisch why, auf Deutsch warum - was sinnbildlich für den hinterfragenden Charakter der Millennials stehen soll.

Aber für die Zukunft ist ebenso entscheidend, wie die Generation Z den gesellschaftlichen Wandel vorantreibt. Bringen diese jungen Leute aus ihrem Selbstverständnis heraus die Chancengleichheit gleich mit, dann braucht es dafür keine Quote. Und führt Work-Life-Balance nicht auch zu besseren Arbeitsbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Vielleicht müssten wir dann nicht 132 Jahre auf die Gleichstellung von Männern und Frauen warten, wie der Gender Gap Report 2021 dies errechnet hat. Jetzt kommt es auch auf erfolgreiche weibliche Vorbilder wie Mirijam Trunk an. Eine, die konstruktiv Kritik am männerdominierten Wirtschaftsleben übt, gemeinsame Lösungen vorschlägt und nicht nur draufhaut – auf die alten weißen Männer. (ch/IDZRNRW)

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