„Die Welt, in der wir gerade leben, ist immer noch eine Arbeitswelt, die von Männern für Männern gemacht wurde. Die schlechte Vereinbarkeit von Kindererziehung und Beruf ist eine große Hürde, die Frauen auf ihrem Weg durch das Berufsleben bremst. In Deutschland tragen Frauen deutlich weniger zum Familieneinkommen bei als in den meisten anderen Ländern“, stellt Mirijam Trunk im Gespräch mit mir fest. Aber auch in den Unternehmen selbst gibt es festgefahrene Strukturen: „In deutschen Vorständen herrscht immer noch das Prinzip der Homosozietät: Gleich und gleich gesellt sich gern, man ist gerne unter sich. Mit einer Minderheit, die unter 30 Prozent vertreten ist – und dazu zählen Frauen nun mal – ändert sich eine Kultur nicht.“
Und Führungsposition ist nicht gleich Führungsposition, konstatiert Trunk. „Schaut man sich die Bereiche an, für die Frauen in den Vorständen der 169 börsennotierten deutschen Unternehmen bisher verantwortlich sind, drängt sich der Gedanke auf, dass es so etwas wie Frauenzonen in Unternehmen gibt.“ Von 86 Frauen, die 2021 in einem Vorstand waren, unter insgesamt 734 Vorstandsposten, waren 24 Finanz- und 22 Personalvorstand. „Frauen landen oft in diesen Stabsfunktionen. Das Kerngeschäft bleibt Männersache. Frauen dürfen zwar auf dem Vorstandsschiff mitfahren, aber nur selten auf der Brücke stehen.“
► Mirijam Trunk ist aktuell „Chief Cross Media Officer“ bei RTL Deutschland. Sie wurde 1991 in Bamberg geboren, studierte Psychologie, Kommunikationswissenschaft und Politik. Ihre journalistische Karriere begann sie mit einer Ausbildung an der renommierten „Deutschen Journalistenschule“ in München und als Reporterin beim öffentlich-rechtlichen Bayerischen Rundfunk.
► Mit 27 Jahren wurde Mirijam Trunk 2019 Geschäftsführerin der Audio Alliance beim RTL-Mutterkonzern Bertelsmann, bevor sie 2022 in die RTL-Führung wechselte: Hier leitet Mirijam Trunk zusätzlich den Bereich Nachhaltigkeit und „Diversity, Equity & Inclusion“. Ihr Buch „Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte“ ist bei Penguin erschienen.
► 24RHEIN-Gastautorin Claudia Hessel ist Chefmoderatorin von RTL West – und eingefleischte Kölnerin. Die TV- Journalistin leitet als Vorstandsvorsitzende das Kölner Forum für Kultur im Dialog und ist ehrenamtlich im Kölner Presseclub aktiv. Dieser Beitrag stammt aus dem Newsletter des „Kölner Presseclub“, den Sie hier abonnieren können
Ihre eigenen Erfahrungen untermauert Mirijam Trunk mit Berichten anderer Führungsfrauen aus Wirtschaft, Politik und Kultur. Sie selbst bezeichnet sich als Feministin, sieht aber die aktuelle Entwicklung kritisch: „Der Begriff Feminismus hat ein Imageproblem. Viele denken, er richte sich gegen Männer, hätte etwas Militantes, sei eine Art der Verbotskultur. Moderner Feminismus steht für Intersektionalität und Chancengleichheit und schaut auf Strukturen.“
Sind „alte weiße Männer“ der Grund, warum Frauen auf dem Weg nach oben ausgebremst werden – oder werden sie selbst benachteiligt? „Ich sehe nicht, dass Männer diskriminiert werden, das geben die Zahlen einfach nicht her“, sagt Mirijam Trunk, „aber den Begriff „alte weiße Männer“ lehne ich ab, denn er ist altersdiskriminierend. Grundsätzlich sind Männer für mich absolut kein Feindbild. Denn auch immer mehr Männer wehren sich gegen stereotype Denkmuster und gegen systemische Hürden. Der Begriff „alte weiße Männer macht Fronten auf, statt in eine konstruktive Richtung zu lenken. Chancengleichheit erfordert eine breite Gesellschaftsdebatte. Selbst Väter von Töchtern spüren diese Ungerechtigkeit und somit wird es auch zu einem Väterproblem.“
Insgesamt war es ein vielschichtiges Gespräch mit meiner RTL-Kollegin, die vieles und vor allem Strukturen in Frage stellt. Typisch für ihre Generation Y. Englisch why, auf Deutsch warum - was sinnbildlich für den hinterfragenden Charakter der Millennials stehen soll.
Aber für die Zukunft ist ebenso entscheidend, wie die Generation Z den gesellschaftlichen Wandel vorantreibt. Bringen diese jungen Leute aus ihrem Selbstverständnis heraus die Chancengleichheit gleich mit, dann braucht es dafür keine Quote. Und führt Work-Life-Balance nicht auch zu besseren Arbeitsbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Vielleicht müssten wir dann nicht 132 Jahre auf die Gleichstellung von Männern und Frauen warten, wie der Gender Gap Report 2021 dies errechnet hat. Jetzt kommt es auch auf erfolgreiche weibliche Vorbilder wie Mirijam Trunk an. Eine, die konstruktiv Kritik am männerdominierten Wirtschaftsleben übt, gemeinsame Lösungen vorschlägt und nicht nur draufhaut – auf die alten weißen Männer. (ch/IDZRNRW)