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Verliert das rheinische Revier nicht nur die Kohle, sondern auch Industrie und Zukunft?

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Von: Peter Pauls

Schaufelrad am tagebau Garzweiler II, dahinter Windräder und eine Kohlekraftwerk
Das ganze Dilemma auf einem Bild: Schaufelrad am Tagebau Garzweiler II, dahinter Windräder - und das RWE Kohlekraftwerk Neurath. © Christoph Hardt / Imago

Dem Ausstieg aus der Kohle folgt der Abstiegskampf, wenn sich das rheinische Revier nicht komplett neu aufstellt.

Köln – Mit einer guten Nachricht will ich beginnen: Man kann, zumindest als Urlauber, mit ständigen Stromabschaltungen leben. Eine Tour durch Südafrika hat mich das gelehrt, denn dort ist Elektrizität – wegen Misswirtschaft und Korruption – rationiert. Taschenlampen und kleine Stromspeicher mussten reichen. Einmal habe ich zwölf strom- sowie handylose Stunden verbracht und Tee auf offener Flamme gekocht. Kein Problem. Mancher Haushalt am Kap verfügt inzwischen über ein Energie-Sicherungssystem. Das ist teuer. Aber es hält meist länger als der Ausfall dauert. Dann spürt man noch weniger. Nur draußen funktionieren Ampeln und Straßenbeleuchtung nicht, in Verwaltungen stürzen die Computer ab und nicht jedes staatliche Krankenhaus hat ein gutes Reservesystem.

Die schlechte Nachricht: Arme Menschen, Landwirte und die Wirtschaft haben es schwer. Auf einer benachbarten Kirschfarm verdarb die Arbeit eines ganzen Jahres während eines Mega-Stromausfalls. In den Dörfern um die Farm herrscht Arbeitslosigkeit. Auf einer Geflügelfarm starben zigtausende Hühner und in den Städten sind die Cafés, die eigene Energiespeicher und Internet haben, voller Selbstständiger, die verzweifelt versuchen, mit dem Laptop ihre Existenz zu sichern. Die Industrie geht am Stock. Die Preise für alles steigen.

Experten: 2030 wird der Energiebedarf um 30 % höher liegen als heute

Droht uns das auch? Im Kölner Raum, in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland? Für das auf das Jahr 2030 vorgezogene Ende des Braunkohleabbaus im rheinischen Revier hat sich die schwarz-grüne Landesregierung gefeiert. Doch die Hauptaufgabe, diese Kohle zu kompensieren, liegt noch vor den Beteiligten. Der Ausstieg bedeutet auch einen Einstieg – in erneuerbare Energien und deren Erzeugung. Viel gibt es da bisher nicht. Dabei wird der Energiebedarf nach Expertenmeinung 2030 noch um 30 Prozent höher liegen als heute.

„Bis 2030 sollen unsere Kohlekraftwerke mit acht Gigawatt Leistung durch Gaskraftwerke mit drei Gigawatt und Windanlagen mit einem Gigawatt ersetzt werden“, merkt Dr. Nicole Grünewald an. Da fehlen vier Gigawatt. „Niemand konnte uns bisher erklären, wo die in nur sieben Jahren jetzt plötzlich herkommen sollen,“ sagt die Präsidentin der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Köln. Und die Gretchenfrage, von der Investitionsentscheidungen abhängen: Wie bezahlbar ist diese Energie, falls sie überhaupt kommt?

8000 Menschen arbeiten in der Kohleindustrie, 15.000 in Zulieferbetrieben. In der energieintensiven Wirtschaft, die rund um Köln liegt, sind weitere 50.000 Menschen beschäftigt. Welche Zukunft haben sie für sich und ihre Familien? Oder werden Firmen ihre Investitionsentscheidungen vom Zugang zu günstiger Energie, guter Infrastruktur und einem auskömmlichen gesellschaftlichen Klima abhängig machen? Ist es verwunderlich, dass Unternehmen sich in Ländern wie den USA umschauen, wo die Energie zu 100 Prozent sicher und zu 80 Prozent günstiger ist?

Wird der Energie-Strukturwandel zur Job-Maschine?

Mit rund 27.000 neuen Arbeitsplätzen rechnet hingegen das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) aus Köln, das vor Ort den Strukturwandel begutachtet hat, der von einem 15-Milliarden-Euro-Programm aus dem Bundesetat befeuert wird. Weitere 3.200 neue Stellen entstünden dadurch in NRW und fast 10.000 in der gesamten Republik, haben die Autoren der IW-Studie berechnet. Ist der Strukturwandel eine Jobmaschine? IW-Geschäftsführer Prof. Hubertus Bardt ist Kenner der Region und weiß mehr.

Meike Jungbluth ist Vorsitzende von „Mine ReWIR“ aus Aachen. Die Initiative von Revierunternehmen spricht für die 400 teils hoch spezialisierten Unternehmen, die als Dienstleister die Braunkohle begleiteten. Zahlreiche von ihnen werden das bis zum Ende der Förderung 2030 tun müssen. Die Geschäftsführerin des Familienunternehmens Roskopf, das seit 1957 im Revier tätig ist, warnt vor einer De-Industrialisierung und dem Verlust von Kompetenz. Die Förderpolitik begleitet „Mine ReWIR“ wachsam. „Deren Themen sollten eine Nähe zur Region haben“, mahnt Jungbluth.

Führen die niedrigen Energiepreise und das Konjunkturprogramm in den USA zu Produktionsverlagerungen? Wie stark hemmen Planungs- und Genehmigungsprozesse den Aufbau erneuerbarer Energien? Ganze Regionen haben gut von dem Energieträger Braunkohle gut gelebt. Antworten und Einschätzungen können wir von Thomas Schauf erwarten, dem Geschäftsführer der Metropolregion Rheinland. Ich freue mich, dass mein Moderatorenkollege Michael Hirz und ich ihn für unser Podium gewinnen konnten.

Diskutieren Sie mit

► Der vorgezogene Kohle-Ausstieg steht für eine ganze Reihe Themen, von denen jedes einzelne das Potenzial hat, die Lebenswirklichkeit in unserer Region zu verändern. Zum Besseren oder zum Schlechteren. Darüber wollen wir am Dienstag, 21. März 2023, 19:30 Uhr, im Excelsior Hotel Ernst in Köln (wenige Gehminuten von Hauptbahnhof Köln und Kölner Dom) mehr erfahren und diskutieren. Die Gäste:

► Dr. Nicole Grünewald, Präsidentin der IHK zu Köln.

► Meike Jungbluth, Vorsitzende „Mine ReWIR“, Aachen

► Professor Dr. Hubertus Bardt, Geschäftsführer des IW Instituts der Deutschen Wirtschaft, Köln

► Thomas Schauf, Geschäftsführer der Metropolregion Rheinland e.V., Köln

► Die Moderatoren des Abends, Michael Hirz und Peter Pauls vom Kölner Presseclub sind 24RHEIN-Gastautoren. Regelmäßig veröffentlichen sie unter anderem Beiträge aus dem Newsletter des Kölner Presseclub, den Sie hier abonnieren können.

► Anmeldung zur Veranstaltung unter info@koelner-presseclub.de.

Eines steht fest: Die Zukunft unserer Region entscheidet sich in diesen Tagen. Denn allein Planung und Genehmigung eines Windrades dauern im Durchschnitt sieben Jahre. Die Bauzeit kommt noch hinzu. Jetzt muss Vertrauen aufgebaut werden in die Leistungsfähigkeit von Behörden und Kommunen. Was heute gelingt, wird in sieben Jahren – hoffentlich – Früchte tragen. Hoffen wir, dass alle Entscheidungsträger nicht, wie so oft, die Absicht für die Tat nehmen. Die Entscheidung für den vorgezogenen Kohle-Ausstieg bürdet ihnen Arbeit und Verantwortung für die Existenz einer ganzen Region auf. (pp/IDZRNRW)

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